Lange Exposition, später Höhepunkt
Für die 17 Kapitel lange Geschichte kann man zwischen 14 und 20 Stunden veranschlagen, je nach Schwierigkeitsgrad, Erkundungsdrang und Nebenmissionen. Mehr als die Hälfte der Zeit verbringt man mit Stefano und erst danach kommt die Geschichte richtig in Schwung, vorher verrennt sich das Spiel zu sehr in die Exposition und die offenen Abschnitte der Spielwelt. Obwohl der zweite Fiesling nicht mit Stefano mithalten kann und deswegen ein Wiedersehen mit drei Bossen aus dem ersten Teil arrangiert hat, bereitet er die Bühne für einen drei Kapitel langen Höhepunkt vor, der die Geschichte überraschend emotional, dramatisch und verständlich "im Limbo" beendet. Hierbei dreht sich alles um die zentralen Charaktere und die Themen Schuld, Vergebung, Aufopferung und Erlösung. Die letzten Kapitel sind so stark, dass sie für viele der Längen aus der Anfangsphase entschädigen, obgleich der spielerische Anteil zum Ende abnimmt und die Cutscenes Überhand nehmen. Inszeniert sind die Zwischensequenzen weitgehend überzeugend. Kameraeinstellungen, Schnitte und Animationen der Charaktere sind gut, bis auf einige NPCs mit einem Hang zum Wackelkopf. Zum Ende hin stoßen einige schwache Texturen oder leere Räume auf. Dass anfänglich fast nervige Gefrage nach Lily endet in einem tollen Finale zusammen mit einem extrem hässlichen Endgegner. Hätte The Evil Within 2 ab Kapitel 12 nicht aufgedreht, hätte es definitiv schlechter als sein Vorgänger abgeschnitten. Doch warum hapert es am Anfang des Spiels?
Mit Sammelobjekten wie Dias wird die Geschichte von Sebastian gelungen weiter vertieft.
Die offene Welt als Horrorkiller
Während die Story und die Charaktere (zumindest die Hauptpersonen) stärker als im Vorgänger sind, schafft es die zweite "große" Neuerung, nämlich die "halboffene Welt", nicht zu überzeugen.
In den Kapiteln 3 und 7 darf eine typische US-Kleinstadt frei erkundet werden, wobei das Hauptaugenmerk auf Kapitel 3 liegt. Hier kann man locker mehrere Stunden verbringen. Nur krankt diese Welt daran, dass sie zwar düster und bisweilen unheimlich, mysteriös und interessant ist, aber längst nicht so horrorträchtig wie das lineare Irrenhaus aus dem ersten Teil. Obwohl auf den Straßen und zwischen dem blickdichten Gras allerlei Verlassene und andere seltsam stöhnende Kreaturen herumschlurfen, kommt auf den Straßen kaum Horror-Atmosphäre auf. Sobald man ein Gebäude verlässt, ist die Stimmung verflogen, da man mehr als genug Freiraum hat, vor dem "Bösen" wegzulaufen oder sich zu verstecken. Die fehlende Enge, mehrere Fluchtmöglichkeiten und die dazu recht normal wirkende Kleinstadt als Schauplatz tragen nicht sonderlich zur Horror-Atmosphäre bei.
Anders ist es, sobald man manche Häuser betritt, denn dann spielt wieder die Inszenierung groß auf, wenn Türen zugeschlagen werden, mysteriöse Dinge geschehen oder sich Räume grundlos verändern - untermalt von einer sensationellen Sound- und Musikkulisse. Jedoch wird nicht in allen Häusern etwas Besonders geboten. Manchmal gibt es nur lahmen und völlig unnötigen Ekel (gleich im ersten Haus) oder es tauchen ein Paar Verlassene auf.
Sebastian leidet an Gewissensbissen und droht zu verzweifen.
Highlights im Linearen
Abgesehen davon, dass viele dieser Horror-Events in den Häusern eher mäßig originell oder wenig überraschend sind, gibt es manche Elemente, die sowohl nerven als auch positiv herausragen. Hier wäre die Begegnung mit dem "Anima-Wesen" zu nennen, das etwas deplatziert wirkt, da sich ein japanisches Horrorwesen offenbar in eine US-Kleinstadt verirrt hat. Sobald man das Wesen zum ersten Mal (was übrigens optional ist) getroffen hat, sucht sie Sebastian immer wieder heim, was mit völliger Veränderung der Spielwelt einhergeht. Später führt sie den Protagonisten wieder zurück nach Beacon und lässt ihn mit einer elementaren Sache abschließen. Schade, dass nicht alle Nebenquests oder Ereignisse in der Qualität vorliegen - so würde die offene Welt einen größeren Mehrwert bieten.
Apropos Horror auf Sparflamme: Jump-Scares oder richtige Überraschungseffekte sind in The Evil Within 2 eher Mangelware.
In den beiden offenen Arealen will trotz gruseliger Gestalten und spritzendem Blut keine wirkliche Horror-Atmosphäre aufkommen.
Der Horror spielt sich eher auf einer psychologischen Ebene ab, die stellenweise so abstrakt ist (abgesehen davon, dass der Hauptdarsteller ohnehin einer virtuellen Realität unterwegs ist), dass es schlicht und ergreifend nicht wirklich schaudert oder bedrohlich wirkt.
Alien: Isolation oder
Outlast sind da wesentlich effektiver. The Evil Within 2 mag unheimlich und spannend sein, aber furchteinflößend ist es nicht. In
Prey habe ich mich zum Beispiel wesentlich häufiger erschreckt als hier.
Es wäre besser gewesen, wenn sich die Entwickler nicht zu sehr in der offenen Welt verloren hätten und dieses Spielelement zugunsten ihrer eigentlichen Stärke, und zwar der Inszenierung von abgefahrenen Horror- oder Überraschungselementen, zurückgefahren hätten. So verbringt man viel Zeit mit dem Kommunikator in der Hand und klappert die verschiedenen Resonanzen in Silent-Hill-Manier ab, wobei es die offene Welt nicht schafft, eine kontinuierliche Bedrohung zu erzeugen.