Stilistisch zeichnet dafür eine Perspektive verantwortlich, die näher an Vito dran ist als an Niko Bellic. Der Mafiosi läuft zudem langsamer als der im Vergleich wie ein Spielfigürchen stolzierende GTA-Gangster. Und er stirbt schneller, weshalb ich ihn nicht wie einen Testosteronkrieger durch Empire Bay hetzen darf. Besonders hinter dem Lenkrad - anderswo der Mittelpunkt des unkontrollierten Open World-Chaos' - sollte ich mir gut überlegen, ob ich schneller als 40 Meilen pro Stunde fahren will. Bei Geschwindigkeitsübertretungen schlagen die aufmerksamen Gesetzeshüter nämlich sofort Alarm. Geübte Raser hängen die Polizei zwar schnell ab, ungeübte Verkehrsteilnehmer werden allerdings gestellt und zur Kasse gebeten oder versenken ihr Auto in der Hitze des tödlichen Radkappenduells im Kofferraum eines anderen Fahrzeugs. Weil Mafia II kein Playmobil-Sandkasten ist, kann Vito eben nicht wie ein Stuntman in letzter Sekunde aus dem Auto springen. Nicht zuletzt gibt es zwei Fahrmodelle: das einfache erleichtert das Gasgeben spürbar, aber erst mit der rutschigen »Simulation« habe ich mich wie ein echter Verkehrsteilnehmer gefühlt. Zu Beginn hatte ich zur Sicherheit deshalb den Geschwindigkeitsbegrenzer eingeschaltet - und in aller Ruhe den Gesprächen der Mitfahrer gelauscht, die hervorragende Aussicht oder die zeitaktuellen Nachrichten genossen. Aus ästhetischen Gründen habe ich leer stehende Wagen zudem mit dem Dietrich geöffnet, anstatt ihre Scheiben einzuschlagen - danke, dass ich die Wahl habe! So fühle ich mich als Teil dieser Welt, anstatt sie wie ein Puppenspieler aus der Entfernung zu beobachten.
Tagelöhner
Ein Teil der Welt bin ich aber auch deshalb, weil ich Vito nicht einfach durch die Checkpunkte endloser Schießereien lotse, sondern auf seinem ganz normalen Arbeitsweg begleite. Natürlich ist sein »Job« kein gewöhnlicher, sondern der eines Mafiosi. Doch das macht ihn nicht zum Soldaten im Dauereinsatz. Stattdessen könnte er z.B. einen Anruf erhalten: Etwas Dringendes liege an, er solle sich einen schnellen Wagen sowie eine Waffe schnappen und am verabredeten Treffpunkt vorfahren. Unter Zeitdruck steht er nie. Ich könnte also zunächst ein neues Auto besorgen, Munition für meine Waffen kaufen, mir nach Belieben und Geldbeutel einen neuen Mantel anschaffen oder aus reinem Interesse die Stadt erkunden. Irgendwann komme ich aber am Treffpunkt an und erhalte meinen Auftrag - mal soll ich Benzingutscheine verkaufen, mal eine Lieferung abholen, mal muss ich mich verkleiden, mal ungesehen einschleichen, mal einen Wagen verfolgen, mal Geld eintreiben, mal gestohlene Zigaretten von der Ladefläche eines LKW aus verkaufen, mal eine Verfolgungsjagd bestehen, mal eine Sprengladung anbringen, mal irgendwo einbrechen, mal Autos klauen und mal muss natürlich jemand dran glauben, mitunter gar eine ganze Bande. Das Schöne ist: Im Amerika der vierziger und frühen fünfziger Jahre drehten sich die Uhren langsamer als sie es heute tun. Und so gönnt sich Mafia II den Luxus, seine Geschichte nicht ausschließlich vom Blickwinkel einer Schrotflinte aus zu erzählen. Es beschreibt den Alltag eines ganz normalen Gangsters, keinen G.I. Joe.
1951, also im zweiten Teil der Geschichte, müssen Vito und sein bester Freund Joe etwa den Chef einer feindlichen »Familie« umbringen, doch an den gut bewachten »Don« ist nicht leicht heranzukommen. Die beiden Mafiosi schleichen sich deshalb als Reinigungskräfte in den Hintereingang eines Hochhauses, fahren in das Stockwerk, in dem eine große Versammlung stattfinden wird und werden dort auch schon erwartet: Im Sitzungszimmer muss eine riesige Schweinerei beseitigt werden... Als sich die Türen schließen, bringen sie dort den Sprengsatz an, legen eine Zündschnur durch das Fenster und kümmern sich schließlich um die Sauerei. Jetzt erst steigen sich durch das Treppenhaus aufs Dach und seilen sich auf einer Plattform für Gebäudereiniger auf die Höhe des verkabelten Raums ab. Dort wische ich - per einmaligem Knopfdruck, aber immerhin - das Fenster, damit unsere Anwesenheit kein Misstrauen verursacht. Joe zündet inzwischen die Lunte und schon sind wir wieder auf dem Weg nach oben. Doch damit ist der Auftrag längst nicht erledigt...
Lichterloh
Mitnichten heißt all das, die Entwickler hätten die Action vergessen! Ausbrüche roher Gewalt sind zwar seltener als es Master Chiefs und John Marstons gewohnt sind. Weil sie im Takt einer guten Dramaturgie gesetzt werden, wirken sie aber umso überzeugender. Hier fliegt das Blei, weil ein Überfall schief geht, nicht weil man sowieso auf Mission ist. Glasscherben splittern, Beton bricht aus den Ecken der Verstecke, Molotow Cocktails setzen die Umgebung in Brand und Vitos Gegner verstehen es verdammt gut, ihn zu flankieren - schade, dass die meisten Schusswechsel in schmalen Passagen ausgetragen werden, so dass sie ihre Fähigkeiten kaum unter Beweis stellen können. Schade auch, dass ein Gegner schon mal einfach stehen bleibt, irgendwo festhängt oder sich anderweitig technisch verhaspelt. Im Gegenzug gefällt mir die Mischung aus wundersamer Selbstheilung und manueller Verarztung. Denn weil ich selten mitten im Gefecht einen Burger oder ein Bier finde; kann ich Vito erst am Ende eines harten Tages mit dem stärken, was er im heimischen Kühlschrank findet. Bis dahin regeneriert er weniger Lebenskraft als er ohne Verletzungen besitzt. Kompromisse in Sachen Glaubwürdigkeit macht 2K Czech bei der Füllmenge von Vitos Taschen, denn die fassen unbegrenzt viele Waffen. Pistolen, Gewehre, MGs, Schrotflinten und natürlich Granaten füllen das vertraute Arsenal.