Martialische Potenziale
Was zu Beginn nach Survival mit Bogen aussieht, öffnet sich zu einem Actionspiel mit zig Waffen: Von der Pistole bis zur Schrotflinte und Napalm-Pfeilen. Kann man trotzdem subtil vorgehen?
Man bekommt Haupt- und Nebenaufgaben. Man muss als erste Waffe z.B. einen Bogen erreichen, der irgendwo im Dschungel baumelt, was etwas Kraxelei zwischen Wald und Fels erfordert. Nur so kann man auf die Jagd gehen, um sich Nahrung zu beschaffen. Beim ersten Ausweiden entschuldigt sich Lara sichtlich angewidert beim Reh – eine tolle Szene. Aber danach wird das Wild ohne Reue abgeschossen. Auch wenn sich Tomb Raider manchmal wie ein knallhartes Survival-Abenteuer präsentiert, gibt es spielerisch viele Kompromisse, damit die Action flutscht: Schon die ständig bereit stehenden Pfeile deuten das an. Munitionsknappheit? Scheint kein Thema zu sein. Hinzu kommen dumm angreifende Wölfe sowie die hohe Bogenfeuerrate. Die Jagd ist - wie immer - ein Arcade-Spielchen.
Spätestens, wenn man sich die acht potenziellen Jäger- sowie zehn Bogen- und sechs Brawler-Aufrüstungen anschaut, werden auch die martialischen Möglichkeiten der zu Beginn so wehrlos wirkenden Studentin deutlich. Lara kann ihre Zielgenauigkeit und Stabilität beim Schuss verbessern, die Munitionskapazität erhöhen, sich zu einer Bogen-, Pistolen-, MG- oder Schrotflinten-Expertin entwickeln oder sich den Tötungsmanövern aus der Nähe widmen. Hinzu kommen Seil-, Napalm (!)-, Explosiv-Pfeile sowie Axt-Tricks, Axt-Konter und Axt-Finisher. Gelingt den Entwicklern angesichts dieses Waffenarsenals und dieser Kampftalente auf lange Sicht noch die dramaturgische Balance?
Plötzlich mitten im Kriegsgebiet
Wie in Uncharted & Co geht es aus der Deckung heraus zur Sache. Dabei kann man offen und explosiv oder subtil vorgehen - was meist besser ist.
Immerhin ist da eine blutjunge, schluchzende und alles andere als erfahrene Kämpferin auf einer einsamen Insel unterwegs. Wozu braucht die das eigentlich alles? Napalm-Pfeile? Ist denn schon wieder Krieg? Ach so: Irgendwann wird auch Russisch gesprochen. Irgendwann sieht man die ersten Tarnanzüge, ein Dorf brennt, Menschen schreien und Lara wird in einen Konflikt hinein gezogen, indem es explosiv zur Sache geht. Auch hier ist die Regie noch so gut, dass man ihr die Verunsicherung und Angst abnimmt. Und als sie tatsächlich den ersten Menschen töten muss, bricht sie zusammen –noch eine tolle Szene. Noch stärker wäre die Wirkung, wenn sie danach die Waffe wegschmeißen würde oder sie nur angewidert in Notwehr einsetzen würde.
Aber wenn sie aufsteht, ballert man mit ihr den Rest der Söldner ohne Reue über den Haufen. Schade. Unheimlich schade. Was dann folgt, wird aber sauber umgesetzt: Lara kann man wie in jedem Deckungsshooter oder Uncharted eher stürmisch oder subtil vorgehen, kann draufhalten oder leise zuschlagen, um weniger Feinde anzulocken. Auch wenn die Studentin irgendwann brutale Finisher einsetzt und Schurken wie ein abgebrühter Söldner umnietet, gibt es zwischendurch interessante Kletter- und Rätselmomente, in denen Laras eigentlicher Charakter wesentlich besser zur Geltung kommt. Aber in welchem Verhältnis stehen Geballer und Erkundung, Explosionen und Rätsel am Ende?