Du bis nicht bereit!
Kratos ist so streng, kalt und hart, dass der Knirps mit gesenktem Haupt dahin trottet und nur leise antwortet. Er bekommt nur kurze Befehle wie "Steig ins Boot!", "Mach es besser!" und vor allem das lautstarke "Du bist NICHT bereit!". Darin sowie in seinen Anweisungen zum Verstecken bemerkt man auch erstmals die durchaus vorhandene Sorge des Vaters. Kratos will nicht mit diesem Jungen gemeinsam kämpfen, weil er ihn nur belasten würde. Zudem hat er scheinbar mehr Zeit mit der Mutter verbracht. Sie war es, die mit ihm heimlich jagen war oder die ihm die Runensprache beigebracht hat - es gibt eine schöne Situation, als Atreus plötzlich bei einem Rätsel sehr hilfreich ist, weil er im Gegensatz zu Kratos die Runen lesen kann. Hier bekommt die Vater-Sohn-Beziehung ganz ohne Kitsch für einen Moment eine moderne Facette, weil die Jugend eben up to date ist. Später wirkt Kratos wiederum modern, wenn der Knirps voller Eifer die Taten der nordischen Götter an einem Bildstein analysiert, während der götterfeindliche Zyniker über den Glauben der Menschen als törichte Schwäche spottet. Kratos weiß aus eigener Erfahrung, dass einen die Götter meist verarschen.
Kratos erkundet die Welt mit ihren begrenzten Arealen aus der Schulterperspektive.
Aber ganz wichtig: Die Mutter Faye ist tot - die Trauer um sie vereint die beiden. Sie hat Kratos aufgetragen, sich um den Jungen zu kümmern. Die Story sorgt für eine weitere glaubwürdige Erklärung der kommenden Koop-Odyssee: Selbst wenn der Kriegsgott alleine losziehen will, um die Asche der Mutter zu einem heiligen Berg zu bringen, könnte er das nicht, weil das familiäre Exil im Wald entdeckt wurde - nicht von Menschen, sondern von nordischen Göttern. Dass die den Eindringling aus dem Süden nicht als Bruder willkommen heißen, wird sehr schnell klar. Auch wenn die Over-the-top-Action manchmal so überstrapaziert wird, dass die anschließenden ruhigen familiären Szenen knirschen, gelingt es der Regie, mich auf den weiteren Verlauf der Beziehung sowie auf Odin, Thor & Co neugierig zu machen. Und zwar weil Atreus schon einiges über sie weiß und scheinbar recht angetan von einigen Geschichten ist. Kann es sein, dass die Götter um seine Gunst buhlen, dass sie Kratos' Sohn auf ihre Seite ziehen wollen? Mal abwarten, aber es würde zu den gewieften wie manipulativen Wesenszügen des Gottes Odin passen.
Ein Kriegsgott im Sammelwahn
Dramaturgisch bleibe ich skeptisch, erzählerisch bin ich neugierig, aber dafür nervt der überstrapazierte Freischalt- und Sammelfokus schon jetzt. Denn Sony Santa Monica hat sich leider nicht nur hinsichtlich der Story an moderne Trends angepasst: Viel zu früh findet man wie leuchtende Brotkrumen ausgestreute "Schätze" - von Hacksilber als Währung bis hin zu
Manchmal gilt es kleinere Rätsel zu lösen, indem man mit Kratos' Axt z.B. Mechanismen aktiviert oder einfriert, um Zugbrücken herabzulassen.
diversen Gegenständen, die einfach irgendwo auf dem Boden liegen. Diese kann man später nicht mal als 3D-Objekte anschauen, sondern sie werden lediglich als 1/34 Artefakte im überraschend lieblos, weil viel zu modern und funktional, designten Menü archiviert. Dort landen auch 1/43 Raben, die man à la
Resident Evil 4 mit der Axt abwerfen, oder 1/7 verborgene Kammern oder 1/11 Riesen-Schreine, die man entdecken oder 100, 250 oder 500 Häscher, die man inklusive Bronze-, Silber- oder Goldtrophäe töten kann. Immerhin sind all diese Dinge nicht immer nur reine XP-Bringer: Wer etwa Idunns neun Äpfel findet, steigert für je drei auch seine maximale Gesundheit.
Schön auch, dass abseits von Göttern wie Thor oder Riesen wie Hrungnir einige Begriffe aus dem Altnordischen wie etwa Seidr für Zauber, Svartalfar für Schwarzalben bzw. Zwerge oder Draugr für Wiedergänger verwendet werden, die bei dem einen oder anderen vielleicht das Interesse an der nordischen Mythologie wecken. Es ist auch eine gute Idee, dass das Tagebuch aus der Sicht des Jungen geschrieben wird, wenn er die Trolle und Wiedergänger aus Mutters Geschichten selber trifft. Aber die Kreaturen werden überraschend lieblos gezeichnet dargestellt - oder sollen das seine "plumpen" Skizzen sein? Wie auch immer, wird man von Beginn an mit Sammelkram en masse konfrontiert, der God of War in dieser Fülle noch nie kennzeichnete. Ich empfinde es immer als ernüchternd, wenn es eine alles enthüllende Matrix gibt, die alle "To-dos" tabellarisch anzeigt. Hier wirkt dieses God of War sehr gewöhnlich, ohne eigene Akzente. Zumal es wie ein Online-Rollenspiel über die Farbe wie etwa Lila auch die Stärke eines Gegners in Relation zu Kratos anzeigt. Aber dafür macht es wiederum im Kern einiges richtig - und damit komme ich zum Kampfsystem.