Faszination Spielwelt
Um so verwunderlicher ist es, dass man sich trotz dieser ärgerlichen Präsentation in dieses Spiel verlieben kann. Denn die abgegriffene Floskel von den inneren Werten wirkt nach der ersten Farmsaison wie eine Weisheit: Harvest Moon macht schnell süchtig, denn man stellt staunend fest, welchen Einfluss die eigenen Aktionen und die Jahreszeiten auf das Tal, die Menschen und die Tiere haben. Im Herbst pflanzt es sich anders als im Sommer, auf der Brücke angelt es sich erfolgreicher als an der Flussmündung, Turbofutter ist besser als Heu, geputzte Tiere sind glücklicher als ignorierte. Hinter der vermeintlich naiven Oberfläche verbirgt sich eine der dynamischsten Spielwelten, die ich bisher kennen gelernt habe. Das einfache Prinzip von Ursache und Wirkung wurde hier mit unglaublich viel Liebe zum Detail virtualisiert. Schade nur, dass die magere Schwarz-Weiß-Anleitung davon nicht viel abbekommen hat, denn hier vermisst man gerade als Einsteiger weitere Hinweise.
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Ein Blick in die Zukunft: Schon im ersten Sommer könnt ihr zu Pferd durch das Tal galoppieren... |
Meine kleine Farm
Dabei beginnt alles so unspektakulär: Ihr seid ein Jungspund, dessen Vater früh verstorben ist. Eines Tages schenkt euch dessen langjähriger Freund Takakura in seinem Namen eine kleine Farm mit einer Weide, einer Kuh und einigen kleinen Feldern. Es sei sein Wunsch gewesen, dieses Fleckchen Land für eine Familie erblühen zu lassen. Hauptziel ist es, eine Frau zu finden und den Nachwuchs großzuziehen. Und so startet ihr nach den ersten Anweisungen des alten Freundes eure Farmerkarriere mit 3000 Goldstücken.
Zugegeben: Der erzählerische Einstieg hat in etwa so viel Dramatik wie der von Railroad Tycoon oder Industriegigant. Aber im Laufe der sechs Kapitel, die mal ein, mal mehrere Jahre umfassen, habt ihr alle Freiheiten, um aus eurem Leben etwas zu machen – Harvest Moon ist ein erfrischend nicht-lineares Spiel mit offenem Ende. Wollt ihr ohne Kompromisse viel Kohle machen oder einen ökologischen Hof mit Rücksicht auf die Natur führen? Vorsicht: Der Wissenschaftler und die Elfen reagieren darauf. Wollt ihr ein Babe, ein Mauerblümchen oder eine Denkfabrik heiraten? Vorsicht: Der Charakter färbt auf euren Erben ab! Und selbst die Story gewinnt durch Zwischensequenzen und so manches unerwartete Ereignis noch an Fahrt.
Aber der typische Tagesablauf sieht erst mal so aus: Noch bevor der Hahn kräht geht`s in der Schulterperspektive raus auf`s Feld, um bereits gepflanzte Früchte wie Tomaten oder Melonen zu wässern. Bei Bedarf wird zur Hacke gegriffen, um den Boden für neue Samen aufzulockern. Dann noch schnell auf die Weide, um Heu für die Kuh zu mähen und schließlich ab in den Stall, um zu melken. Die Milch ist übrigens zu Beginn sowohl euer Frühstück als auch die lukrativste Einnahmequelle – Takakura verkauft sie für euch jeden Morgen auf dem Markt.
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Idyllische Weitsicht: Ein Panoramablick über den Fluss bis hin zum Strand. |
Im Schweiße des Angesichts
Die Arbeit auf dem Land kostet natürlich Kraft: Eure Figur schwächelt, wenn ihr es zu hart angehen lasst und zum Wohle des Wachstums zwei mal täglich wässert oder großflächig umgrabt. Denn selbst bei den Werkzeugen gibt es Qualitätsunterschiede, die sich auf die Effektivität der Feldarbeit auswirken: Mit einer leichten Sichel mäht sich das Gras viel angenehmer als mit der schweren Variante; genau so verhält es sich mit Hacke und Gießkanne.Aber nicht nur der Schweiß fließt, auch der Magen knurrt jeden Tag: Jetzt gilt es, kreativ zu sein, denn von Milch allein kann man nicht leben. Aber wo findet man schmackhafte Rezepte? Wer die Augen offen hält und die Nachbarn besucht, wird fündig.
Man kann auch den Fernseher einschalten und nach dem Wetterbericht zur Kochsendung zappen. Ansonsten gibt`s Salat, Suppe oder Fisch. Aber dazu braucht ihr Kräuter, Gemüse und natürlich eine Angel. Erstere kann man suchen, Zweiteres muss man pflanzen und Letztere kann man beim Händler für satte 500 Goldstücke kaufen.