Hochauflösender Minimalismus
Das trashige Design bleibt dem Vorgänger treu, wurde aber dezent mit etwas mehr Details aufgepäppelt und läuft nun auf Wunsch auch knackscharf in 1080p. Die Sprecher hinterlassen ebenfalls einen professionelleren Eindruck. Insbesondere der auch als Schauspieler tätige Erzähler Götz Otto (spielte z.B. den Bösewicht Stamper in "Der Morgen Stirbt nie")
macht seinen Job gut. Er trägt Lillis Gedankengänge – mögen sie auch noch so abstrus klingen - mit seelenruhiger, freundlicher Märchenonkelstimme vor, in die sich gerne auch ein zynischer Unterton mischt.
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In den späteren Kapiteln ist Lilli auch außerhalb der Klostermauern unterwegs. |
Wenn es sein muss, verleiht er seinen Sätzen den nötigen Nachdruck – z.B. wenn die Heldin sich partout nicht wie befohlen zur garantiert ungefährlichen Reifenschaukel begeben will, welche an einem termitenzerfressenen Baum über dem Abgrund hängt. Außerdem mit von der Partie: Alex Grimm als ein ziemlich veränderter Harvey, Alianne Diehl als Lillis beste Freundin Edna, Thomas Fitschen als Dr. Marcel. Die geschrumpfte Zahl an Dialogzeilen (ca. 7.000 statt 20.000) hat sicherlich auch ihren Teil dazu beigetragen, dass die Sätze diesmal sorgfältiger betont wurden. Auch die Musik passt bestens: Neben skurrilen, aber ruhigen Instrumentalstücken gibt es auch einen von Poki gesungenen Titelsong, der mir schon seit Tagen als Ohrwurm im Kopf herumgeistert.
Keine Ketchup-Eskapaden mehr
Der Experimentierfreude werden diesmal engere Grenzen gesetzt: Lilli hat zwar einen gehörigen Knall, kann sich mangels gespaltener Persönlichkeit aber nicht mit Gegenständen unterhalten. Außerdem lässt sich nicht mehr alles mit allem anderen kombinieren. Stattdessen wird per Leertastendruck angezeigt, mit wem oder was ein aufgehobenes Etwas wohl benutzt werden könnte. Zusätzlich wurde das bewusst altmodische Verben-System wieder abgeschafft und durch ein einfaches Zwei-Tasten-Interface ersetzt. Erscheint ein Auge über dem Cursor, kann Lilli einen Gegenstand näher unter die Lupe nehmen.
Die linke Taste ist für die Hand reserviert: Mit ihr wird je nach Kontext ein Ding benutzt, gegessen, getrunken oder ins Inventar gestopft. Letzteres ploppt auf, wenn der Cursor sich dem entsprechenden Streifen am rechten unteren Rand nähert – auf Wunsch lässt es sich auch mit einem Klick öffnen. Im Gespräch werden die Themen und Dialog-Ebenen durch kleine quadratischen Logos symbolisiert.
Selbsthilfe für Fortgeschrittene |
»Shiny Rainbow Miyuyasake!« Das ebenso beliebte wie dümmliche weibliche Geek-Duo spricht nur in Anime-Phrasen. |
Auf eine Hilfe-Funktion verzichtet Daedalic aber – stattdessen gibt die eine oder andere Figur mir bei der Unterhaltung einen Wink mit dem Zaunpfahl. Die beiden Anime-Fans z.B. haben mich mit ihren dümmlichen Phrasen über magische Lichtkrieger derart auf die Palme gebracht, dass ich gar nicht anders konnte, als ihnen den im Garten gefundenen Sprengzünder in die Hand zu drücken. Welchen sie natürlich auf der Stelle mit der hübschen Haarnadel entschärfen, auf die Lilli ohnehin scharf war. Noch cooler ist, auf welch elegante Weise ich mich kurze Zeit später der Bombe entledige. Mehr verrate ich nicht, um euch nicht den besten Gag des ersten Kapitels zu versauen.
Während der Erforschung des Schulgeländes gibt es allerhand typische Inventar-Rätsel und Botengänge zu beackern: Nachdem ich einem meiner Gesprächspartner einen Presslufthammer überreicht habe, meißelt er damit wild an den Bodenplatten herum, weil sich seiner Meinung nach dort eine uralte Kirchenverschwörung aufdecken lässt. Mit seiner Hilfe kann ich nur rechnen, wenn ich ihm bei der Suche helfe, also hilft nur ein Ausflug ins muffige Schullager. Der dort an der Garderobe aufgehängte Greis wird normalerweise nur zur Geschichtsstunde aus der Kammer geholt und soll mir aus seiner Zeit bei den Tempelrittern erzählen. Dumm nur, dass ich ihm dazu erst einmal eine thematische Gedächtnisstütze bauen muss – aus allerlei Gegenständen, welche ich natürlich anderswo finde.