Moralische Touristenführer
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Lucy Kuo achtet immer darauf, dass Cole auch anständig bleibt - die deutschen Sprecher enttäuschen. |
Das wäre alles verschmerzbar, schließlich ist das kein
Mass Effect und schon gar keine Comedy-Show. Aber im Gegensatz zum Vorgänger wirkt das interessante Moralsystem im heißen Süden primitiver und durchschaubarer. Man bekommt sehr früh ein Engelchen und ein Teufelchen an die Seite, damit man auch weiß, was Gut und Böse ist: Da wäre die brave sowie unterkühlte (sie verschafft Cole eisige Kräfte) NSA-Agentin Lucy Kuo auf der einen und die böse sowie feurige (sie verschafft Cole...richtig: heiße Kräfte) Rebellin Nix auf der anderen Seite. Nichts gegen Archetypen, aber diesen beiden Ladys fehlt einfach alles, was einigermaßen interessante Charaktere ausmacht. Sie wirken von Beginn an plump, steril und flach.
Das erdet natürlich die Atmosphäre. Aber selbst das wäre kein all zu großes Problem für ein actionreiches Abenteuer in offener Welt, denn man kann ja selbst entscheiden, wie man spielt! Und geht es hier nicht um das actionreiche Austoben? Außerdem gelingt es Sucker Punch sogar in Ansätzen die sozialen und politischen Konflikte der Südstaaten-Metropole zu umreißen - mit viel Klischeesahne, aber wenigstens versüßt das ein wenig den faden Storygeschmack: Da ist ein totalitärer Diktator, der mit seiner Miliz die Bevölkerung unterdrückt; da sind Monster aus den Sümpfen als äußere Bedrohung und selbst die für New Orleans so tragischen Katastrophen wie Ölverschmutzung und Überflutung werden immerhin optisch so thematisiert, dass man beim Betreten der armseligen Barackeninselwelt fast depressiv wird. Diese authentischen Facetten können dann ein wenig über die moralischen Touristenführer für Sandkastenhelden hinweg trösten.
Eine Frage des Karmas
Man hätte die schwache Story allerdings noch besser auffangen können, wenn man das aus dem Vorgänger bekannte Moralsystem erstens besser als dramatische Stütze integriert und zweitens weiter entwickelt hätte – aber da steht
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Das Teufelchen unter den schlecht inszenierten Moralaposteln: Nix. |
inFamous 2 nicht nur still, sondern wirkt teilweise wie ein Rückschritt. Cole kann sich immer noch entscheiden, ob er gut oder böse handelt, ob er hilft oder zerstört, ob er heilt oder tötet. Macht man einen Straßenmusiker mundtot? Hilft man der Polizei? Stoppt man Verbrecher auf frischer Tat oder sabotiert man Demonstranten? Jedesmal steigt Cole ein wenig auf der einen oder anderen Moralseite auf, dargestellt durch ein blaurotes Symbol mit automatisch angepasster Markierung – und so kann er bei konsequenter Nutzung nicht nur exklusive Fähigkeiten hinzu gewinnen, sondern auch den Verlauf von Zwischensequenzen sowie die Reaktion der Bevölkerung beeinflussen. Drei gute oder böse Ränge warten auf ihn und erlauben mitunter Zugriff auf exklusive Missionen, so dass sich der Wiederspielwert erhöht.
Das Problem ist allerdings, dass all das viel zu leicht durchschaubar ist, manchmal kaum spürbar oder inkonsequent umgesetzt wird. Wenn man den Vorgänger gespielt hat, der vor so mancher Mission noch ein gewisses Maß an Überlegung verlangte, ob das wirklich gute oder böse Folgen haben wird, fühlt sich das Angebot an Entscheidungen hier wie eine Verflachung an. Es gibt quasi keine moralischen Grauzonen, sondern nur klares Gut und klares Böse. Das führt nicht nur dazu, dass man sehr schnell den Kopf zumacht und nur noch Aufträge für eine Seite abklappert, ohne sich großartig Gedanken zu machen. Das führt auch dazu, dass einem die Bevölkerung sehr früh egal wird, denn man kann sogar als Gutheld aufsteigen, wenn man Kollateralschäden in Kauf nimmt. Leider kommt es nur ganz selten zu interessanten Situationen, in denen man wirklich einen Gewissenskonflikt austrägt; zumal die schauspielerische Inszenierung dieser moralinsauren Situationen oftmals zu wünschen übrig lässt.
Wer unfreiwillig oberflächlich agiert oder wütet, muss bei der Statistik lediglich die Abzüge für getötete Unschuldige hinnehmen (aber selbst das wird nicht immer korrekt gezählt), aber kann dennoch zum Helden avancieren. Allerdings haben sich die Reaktionen in der Bevölkerung kaum entwickelt: Ja, die Bewohner kreischen bei Gefahr oder demonstrieren gegen bzw. für Cole, aber es gibt auch einige komplett idiotische Verhaltensweisen und Animationen, wenn riesige Monster einfach ignoriert werden oder etwa ein paar Verletzte wie ein Pulk zitternder Robben auf dem Boden liegen, obwohl direkt daneben eine Krankenstation zu sehen ist. Spürbarer sind Veränderungen in der Reaktion erst nach dem Aufstieg in einem guten oder bösen Rang: Wer der dunklen Seite folgt, wird gefürchtet, aber auch mal attackiert; wer dem hellen Pfad folgt, bekommt ab der zweiten Stufe sogar Fans und Unterstützung im Kampf. Aber es gibt je nach Pfad eigentlich nur drei markante Veränderungen der Bevölkerungsreaktion innerhalb einer knapp achtzehnstündigen Spielzeit - da hätte man etwas mehr soziales Feedback bieten können.