Anime für Anwälte
Ein Jurastudium kann trocken sein. Ein Anwalt kann eine Spaßbremse sein. Und ein Prozess kann einschläfern. Aber auf dem DS ist bekanntlich alles lockerer, spannender und knackiger als im richtigen Leben: Falls ihr in die Rolle des Strafverteidigers Phoenix Wright schlüpft, werdet ihr ohne Atempause durch eine herrlich überzeichnete Welt voller skurriler Charaktere, fieser Morde und packender Prozesse geführt - inkl. Kullertränen, Nervenzusammenbrüche und Tittenhopsen. Hört sich sexistisch und kitschig an? Ist aber nicht so schlimm, denn unter der Oberfläche wartet ein intelligentes Spielkonzept, das die Logik des Hobbyjuristen fordert.
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Rosa April ist die Unschuld in Person und hinterlässt vor dem Richter schon mal doppelt animierten Eindruck. |
Wer mit dem japanischen Hang zu Übertreibungen oder expressionistischen Animes nichts anfangen kann, wird hier dennoch auf eine stilistische Geduldsprobe gestellt: Wenn Zeugin April May in Häschenpose und rosa Outfit in den Gerichtsaal kommt, um als kecke Lady mit spitzer Zunge und hüpfender Oberweite Publikum und Richter zu becircen, liegt es an euch die betörende Unschuld als kriminelle Methode zu entlarven. Kann diese aufgebohrte Rosigkeit tatsächlich lügen oder gar einen Mord begehen? Kann man den Blick des Richters vom prallen Dekolletee auf die Fakten lenken?
Suchen, reden, beweisen!
Ihr müsst euch als junger Anwalt vor dem Richter und gegen den Staatsanwalt beweisen, indem ihr Beweise vorlegt, Falschaussagen entlarvt und Zeugen die Wahrheit entlockt. Falls ihr Lust habt, könnt ihr in den Verhandlungen auch "Einspruch" ins Mikro brüllen - ansonsten werden Stylus und Doppeldbildschirm konventionell genutzt. Wie in einem Adventure könnt ihr Tatorte besuchen und per Fadenkreuz auf dem Touchscreen an Beweise zoomen, die euch später im Prozess helfen: Etwa eine Wanze im Hotelzimmer der wichtigsten Zeugin, ein Blut verschmierter Zettel oder eine letzte Nachricht des Opfers auf dem Handy.
Neben der Suche nach Indizien müsst ihr vor einem Prozess auch Zeugen und wichtige Personen befragen: Verwandte des Opfers, entfernte Bekannte oder den leitenden Kommissar Gumshoe, der mit seinen vielen Kopfkratz- und Grübelanimationen wie ein Columbo in Jugendjahren wirkt. Manchmal ergeben sich in diesen Gesprächen neue Hinweise. Zwar laufen die Dialoge weitestgehend linear ab und werden nacheinander abgehakt, aber die Texte wurden erstens sehr gut ins Deutsche übersetzt und sind zweitens ebenso witzig wie unterhaltsam. Wichtige Informationen werden übersichtlich in eurem Inventar archiviert und können bei Bedarf noch mal inspiziert werden.
Im Angesicht des Richters
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Ein Samurai-Speer als Beweisstück. Unten die Liste der bisher gesammelten Indizien, die ihr geschickt nutzen müsst. |
Nach der Recherche von Gegenständen und Informationen geht es in den Gerichtssaal - der dramaturgische Höhepunkt des Spiels: Zeugen machen hier detaillierte Aussagen, die euren Mandanten oder die Mandantin belasten. Eure Aufgabe ist es, Lücken in der Beweiskette zu finden, Pseudo-Alibis zu enttarnen und die Aussagen Satz für Satz zu hinterfragen. Ihr könnt im Kreuzverhör nach jeder Zeile einhaken, um den Zeugen ins Schwitzen zu bringen: Je penetranter eure Fragen, desto nervöser wird er vielleicht und wenn dann noch ein Beweis hinzu kommt, bricht er vielleicht zusammen oder zeigt sein wahres Gesicht; Tumult entsteht, Geschrei kommt auf - ihr habt ihn!
Oder doch nicht? Richter fordern mit lautem Klopfen Ruhe, Zuschauer raunen und der Staatsanwalt fährt euch vielleicht mit Karacho in die Argumentation. Könnt ihr beweisen, dass der Zeuge die Zeitansage einer Uhr nicht gehört haben kann? Könnt ihr beweisen, dass er um 20 Uhr nicht am Tatort gewesen sein kann? Und vor allem: Findet ihr den richtigen Zeitpunkt für eure Attacke? Auch in Phoenix Wright geht es trotz der theatralischen Szenen um harte Fakten. Geht es zu Beginn noch um einfache Widersprüche, werden die Prozesse immer komplexer.
Forensisches Finale
Und manchmal steckt man fest, weil man partout nicht die richtige Methode in einem Kreuzverhör findet. Das kann euch den Prozess kosten, denn wer einfach nur unsinnige Beweise präsentiert, büßt Vertrauenspunkte beim Richter ein. Hat man alle verloren, ist auch der Mandant verloren und Game Over. Aber das ist nie frustrierend: Erstens kann man jederzeit speichern, zweitens gibt es ab und zu wertvolle Hinweise über innere Monologe des Anwalts. Der Anspruch ist also weder zu einfach noch zu schwierig, sondern genau richtig für die juristische Knobelei.
Man kann Phoenix Wright vorwerfen, dass es nach dem ersten Durchspielen kaum Motivation für eine erneute Prozesslawine bietet und dass die wirklich komplexen Fälle auch den Abschluss bilden: Wenn man erstmal Gegenstände vergrößern und drehen, Fingerabdrücke über das aktive Wegpusten des Pulvers finden sowie forensische Tests anhand von Luminolbesprühungen durchführen kann, ist das Spiel auch schon vorbei. Aber in der Kürze liegt in diesem Fall sehr unterhaltsame Würze. Und: Ich freue mich schon auf die Übersetzung des Nachfolgers "Justice For all!".