von Benjamin Schmädig,

Angespielt: Marvel's Avengers

Marvel's Avengers (Action-Adventure) von Square Enix
Marvel's Avengers (Action-Adventure) von Square Enix - Bildquelle: Square Enix
Es mutet zwar immer seltsam an, nach etlichen Spielstunden eine News mit dem Titel „Angespielt“ zu schreiben, aber genau das trifft es bei Zeitfressern eben im Kern. Marvel‘s Avengers ist ja nicht nur ein Action-Rollenspiel, das sich mit dem Erzählen einer Geschichte begnügt, sondern gleichzeitig ein Destiny-Verschnitt, bei dem es zum großen Teil darum geht, Charaktere ständig zu verbessern oder ihnen einfach nur ein neues Outfit zu besorgen, wofür man wiederum Währungen benötigt, die man durch das Wiederholen zahlreicher Missionen mit veränderlichen Zusammenstellungen an Gegnern erhält.

Tatsächlich war ich sogar überrascht, wie unverhohlen Entwickler Crystal Dynamics (Tomb Raider) Bungies Formel nicht nur nachahmt, sondern große Teile des Spiels schlicht kopiert. Das fängt schon beim Menü an, wo spätestens das Anlegen von Rüstungsteilen mit seinen neun Felder großen Fächern dem Vorbild frappierend ähnelt. Immerhin darf man hier auch per Digikreuz alle Optionen anwählen, was ich als gelungene Ergänzung empfinde – auch wenn das Wechseln der Menüseiten so träge vonstatten geht, dass ich die großen Reiter lieber per Analogstick anwähle. Ich wünschte außerdem, man könnte Gegenstände markieren, um sie vor einem versehentlichen Löschen zu bewahren.

Dem Ausrüsten und ständigen Verbessern werde ich mich aber erst in unserem Test eingehend widmen. Auch jetzt habe ich zwar schon etliche Aufträge erledigt, die mit der Kampagne nichts zu tun haben bzw. davon unabhängige Episoden der jeweiligen Superhelden erzählen. Vor allem habe ich mich bisher aber der großen Geschichte um die Superhelden gewidmet. Die ist immerhin so gestaltet, dass man sie im Gegensatz zu Destiny & Co. komplett alleine erleben kann, da man selbst vor kooperativen Einsätzen die Wahl hat, ob man menschliche oder vom Spiel gesteuerte Begleiter an seiner Seite haben möchte. Es gibt auch keine zusammenhängende Oberwelt, in der andere Spieler herumlaufen.

Stattdessen ist man außerhalb des Turms... Verzeihung: der Basis fast ausschließlich in relativ weitläufigen, aber stets überschaubaren Levels unterwegs, an dessen anderem Ende ein starker Gegner wartet oder wo man Positionen verteidigen muss, während die ständig plappernde KI J.A.R.V.I.S. in ihrer Funktion als Missionsleiterin irgendeine Software hackt. Manchmal zerstört man auch von ihr markierte Objekte, aber der Ablauf ist immer gleich. Die finalen Auseinandersetzungen und viele andere Herausforderungen finden dabei oft in relativ kleinen Räumen statt...

Dank Foto-Modus macht man in Ruhe Aufnahmen.
Dank Foto-Modus macht man in Ruhe Aufnahmen.

... weshalb ich im Fall von Avengers ohnehin nicht von klassischen Levels sprechen möchte, da die wenigen, fast immer rechteckigen und ständig wiederverwendeten Räume dieser Bezeichnung kaum gerecht werden. Auch die Außenareale stellen leider erschreckend öde Copy-and-Paste-Gebilde dar, in denen man Dutzende Kisten suchen und tausende Rohstoffbehälter zerscheppern darf, um neue Ausrüstung bzw. Materialien zum Aufwerten derselben zu erhalten. Mit anderen Worten: Das „Leveldesign“ gehört zum schlimmsten, das ich seit langem erlebt habe! Eine dermaßen plump aus dem Baukasten gekippte Einfallslosigkeit hätte ich einem Spiel dieses Kalibers jedenfalls nicht zugetraut. Ich rede von der geführten Kampagne, wohl gemerkt, nicht von der erzählerisch belanglosen Diablo-Schleife, die dem ewigen Jagen und Sammeln dient. Nur die allerletzte Mission zeigt, wie aufregend Videospiel-Action sein kann. Aber das hilft dann auch nicht mehr.

An dieser Stelle außerdem ein Wort zur Grafik, die auf flotten PCs halbwegs anständig ihren Dienst verrichtet, auf PS4 Pro jedoch munter durch die Bildraten springt und dabei gerne so tief fällt, dass ich nachschauen musste, ob ich tatsächlich den Performance-Modus eingestellt hatte. Wobei: Der heißt sinnigerweise gar nicht so, sondern wurde sicherlich nicht ohne Grund „Highest Performance“ getauft. Dass die manchmal nur etwa 30 Bilder pro Sekunde schafft und gelegentlich auch das zu unterbieten scheint... nun, ja.

Das eigentlich Bemerkenswerte ist allerdings, dass es trotzdem Spaß macht mit den verschiedenen Superhelden durch die Gegend zu fliegen, springen und rennen. Wo Iron Man einfach den Düsenanzug zündet, wuchtet sich Hulk von Plattform zu Plattform sowie an Wänden entlang – mit großen Sprüngen zwar, aber weitaus weniger geschwind als Kumpel Tony. Black Widow zieht sich hingegen per Greifhaken an Vorsprünge heran, während Kamala, die aktuelle Ms. Marvel, ihre dehnbaren Arme auf ähnliche Weise nutzt.

Captain America an Bord der Chimera, einer Art Hauptquartier.
Captain America an Bord der Chimera, einer Art Hauptquartier.

Vor allem im Kampf ist es eine Freude, mit den unterschiedlichen Helden fiese Roboter zu vermöbeln. Das handfeste Prügeln steht dabei trotz vorhandener Distanzattacken klar im Vordergrund und obwohl alle Kämpfer im Wesentlichen die gleichen Kombos, Kicks und Konter nutzen, unterscheiden sie sich im Detail recht deutlich. U.a. verfügen sie ja über einzigartige Spezialfähigkeiten und nur Iron Man steigt etwa in einen Mech, um seine Gegner mit besonders viel Schmackes zu verschrotten. Kamala weicht Schlägen und Tritten hingegen aus, indem sie ihren Körper zur Seite dehnt, und Black Widow kontert mit ihrem Greifhaken.

Natürlich gleicht sich das alles unterm Strich, zumal die Steuerung zum Glück stets die gleiche ist. Aber es ist auch unheimlich motivierend, die Stärken der Figuren kennenzulernen und individuelle Favoriten herauszupicken. Zusätzlich erweitert man ja ständig die Fähigkeiten und kann sich später sogar recht deutlich spezialisieren. Mich stört es übrigens nicht, dass man nicht sieht, welche Ausrüstung die Helden tragen. Im Fall von Superhelden bin ich ganz froh darüber, einen Captain America nicht als verkapptes Kunstwerk im Stil der Destiny-Hüter ertragen zu müssen, sondern immer in einem seiner ikonischen Kostüme.

Bedauerlich finde ich dagegen, dass dieses Marvel-Abenteuer eine ganz seltsame Mischung aus Leinwand- und Comicwelt darstellt. Die Avengers sind den Filmhelden nämlich so ähnlich, dass ihre Akteure sogar deren Stimmen und Manierismen nachahmen – gleichzeitig aber so fremd, dass ihre Geschichte eine andere ist. Heraus kommt nichts Halbes und nichts Ganzes. Lieber wäre mir ein markantes Artdesign, das eine individuelle Duftmarke setzt und die Lust aufs Entdecken bisher unbekannter Eigenheiten der „neuen“ Helden weckt. Die hier vorgestellte halbe Kopie empfinde ich dagegen als recht müden Abklatsch.

Die Geschichte dreht sich um Avengers-Fan Kamala Khan.
Die Geschichte dreht sich um Avengers-Fan Kamala Khan.

Zumal die Geschichte selbst an einförmiger Langeweile kaum zu überbieten ist. Es geht ja lediglich darum die aufgelöste Avengers-Truppe Stück für Stück wieder zusammenzubringen. Dass das gelingt, ist im Wesentlichen Kamalas Tun zu verdanken und tatsächlich ist die junge Heldin ein richtig sympathischer Neuzugang. Sie übertreibt es mit ihrem Anhimmeln der Avengers nur leider dermaßen stark, dass ich schon früh die Nase voll davon hatte. Spätestens ihre gefühlsduseligen Ansprachen sowie die der anderen Superhelden sind einfach zu viel des Pathetischen: Crystal Dynamics vermittelt Intentionen und Emotionen nicht über Blicke und Gesten, sondern lässt seine Figuren blumig diktieren, was sie oder ihn gerade ganz dolle bewegt.

Aber gut, die Einleitung habe ich wie gesagt hinter mir. Jetzt geht es um das Leveln, Verbessern, Spezialisieren und auch das kooperative Spiel mit bis zu drei menschlichen Begleitern. Das kam bisher nämlich noch nicht besonders häufig zustande , was vermutlich daran liegt, dass bislang nur Vorbesteller Zugang hatten und das Spiel erst heute für alle Käufer seine Tore öffnet.

Ich bin jedenfalls gespannt. Immerhin ist die Action stellenweise klasse und besonders starke Gegner durch geschicktes Kombinieren von Kontern, Angriffen und Spezialfähigkeiten zu plätten, ist mächtig motivierend. Es gibt mehr als genug Kostüme und Spezialisierungen freizuschalten – ob das genug Anreize sind immer wieder dieselben Missionen, täglichen Herausforderungen und sonstigen Aufgaben zu erledigen, wird sich in den kommenden Tagen zeigen. Auch wenn die Kampagne dank einfallsloser Geschichten und Missionen sowie technischer Schwächen nur einen befriedigenden Eindruck hinterlässt: Marvel‘s Avengers hat durchaus das Potential mit einer guten Wertung in unserem Test abzuschneiden.

Einschätzung: befriedigend

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Kommentare

MrLetiso schrieb am
Ryan2k6 hat geschrieben: ?07.09.2020 10:13 Also weder glaube ich, dass solche Skins viel Zeit kosten, (...).
Sorry, wenn ich hier so reinspringe. Aber welche Skins meinst Du hier genau? Ich denke, die Arbeit an solchen Skins wird ziemlich unterschätzt, gerade, wenn ich mir ansehe, was Blizzard seinerzeit an "Skins" für Heroes of the Storm rausgehauen hat. Das waren schon völlig neue Modelle (die Preise trotzdem eine Frechheit).
Raskir schrieb am
Verstehe immer noch nicht ganz was damit gesagt werden soll, aber ist auch Montag und auch nicht wichtig :)
Finde nach wie vor, das Spiel schaut einfach nicht gut aus. Generisch, uninspiriert, wie von der Stange und noch dazu absolut Durchschnittlich. Werde hier passen
johndoe711686 schrieb am
Hat doch niemand behauptet? Früher gab es einfach generell in weniger Spielen Skins, aber wenn, dann zum freispielen. Und erst durch das überall rangeflansche von Skins für Moneten, hat man die heute in sehr vielen Spielen.
Raskir schrieb am
Wie kommt ihr drauf, dass es früher keine/kaum skins zum freispielen gab? Es gab früher halt ganze genre im online multiplayer nicht, da sind halt meistens skins reingeflossen.
Aber es gab durchaus Genre wo die skins durchaus da waren zum freispielen. Viele Rennspiele mit Lack und co, GTA (ab teil 3) und ähnliches, sport games, fighting games und weiß der Geier.
Klar gibt es heute mehr in der Form aber es gibt halt auch viiiiiiel mehr Multiplayer games, wo es dazu gehört
johndoe711686 schrieb am
Bachstail hat geschrieben: ?07.09.2020 08:02 Und das ist auch was Psychologisches, denn MTAs suggerieren einem, dass in diesen Gegenstand viel Arbeit geflossen ist, was auch häufig der Fall ist
Bist du dir da sicher? Also weder glaube ich, dass solche Skins viel Zeit kosten, noch dass allzu viele Spieler denken, dass dem so wäre. Vielmehr holen sich die Fans die Skins, weil irgendein Streamer das trägt und grad cool ist. Das perfide daran ist halt bei Fortnite zum Beispiel, man kann ja immer nur einen Skin tragen, wenn der nicht mehr cool ist, liegt er rum, kann nicht verkauft werden und hat x ? gekostet.
schrieb am
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