Der übermächtige Meisterdieb
Garrett ist mit seinen neuen Bewegungen von Anfang an viel zu schnell und mächtig. Er verliert keine Ausdauer, wenn er mit Tempo durch den Schatten huscht und kann so auch helle Bereiche fix durchqueren – einfach Kombohuschen zum Schatten. Wirkte die Schnelligkeit in Dishonored als eine Art Kurzteleport noch passend, mutet sie hier fast wie ein künstlicher Cheat an, denn selbst rückwärts zischt Garret wie ein Blitz. Ich sage nicht, dass dieses Element komplett unsinnig ist. Aber warum hat man dieses neue Huschen nicht als erlernbare Fähigkeit in mehreren Stufen integriert? Apropos Fähigkeiten und Werkzeuge, Aufrüstbares und Kaufbares: Das ganze System ist Murks. Man hat viel zu früh alles wirklich Nützliche wie Fokus (wenn man mag), Schraubenschlüssel für die Kanalisation oder Drahtschneider gegen Fallen - es gibt ansonsten fast nur Überflüssiges.
Die Sichtbarkeit wird in drei Stufen geregelt: Schwarz, grau und weiß zeigen an, wie gut man getarnt ist.
In Deus Ex kann man über den Ausbau der Fähigkeiten seinen Spielstil spürbar unterstützen, aber hier wirkt vieles wie Augenwischerei. Es gibt acht Fokus-Upgrades in zwei Stufen, die das Spiel entweder abstrus lächerlich machen (man kann über Intuition noch mehr blinken und visuell anzeigen lassen – blaue Handabdrücke führen zu Geheimnissen!) und die man nicht wirklich braucht. Wer will denn ernsthaft den Schaden oder den Zoom für seine Pfeile erhöhen, wenn ein Kopfschuss auch so tödlich ist? Warum brauche ich bei meinem Tempo noch eine Zeitlupenfunktion und was soll der schnellere KO-Schlag? Von dem Lederkram fang ich gar nicht erst an, der Schaden minimiert. So geht die Motivation einer Charakterentwicklung schon nach zwei Kapiteln flöten. So fallen dutzende Nebenaufträge raus aus meinem Beuteschema, weil ich genug Gold habe und nichts brauche.
Wimmelbild im Triple-A-Format
Auch wenn das Figurenverhalten solide ist, kann es nicht vollends überzeugen.
Auch das willkürliche Wechseln von Schauplätzen und Situationen nervt. Egal wie man spielt, egal wie gut man sich anstellt – irgendwann kommt der geskriptete Alarm und man wird zu Trial&Error-Fluchtszenen gezwungen. Richtig nervig sind die engen Passagen, diese Ich-zwäng-mich-durch-Nischen-Situationen, die in Tomb Raider richtig gut gemacht waren: Hier sehen sie alle gleich aus, egal in welchem Schauplatz, und hier kommt immer in der Mitte ein Balken, den ich über einen dummen Reaktionstests wegschieben muss – dieses Copy&Paste von Langweile ist unglaublich. Zumal es solche Nischen tatsächlich auch vor Tavernen mitten in der Stadt gibt.
Es gibt übersinnliche Schlauchlevel mit Traumcharakter, die an Anspruchslosigkeit nicht zu unterbieten sind – man latscht Checkpunkte ab. Es gibt zähe Phasen wie z.B. in der Heilanstalt, die am Aufbau von Grusel scheitern: Als Garrett wie in einem Wimmelbildspiel glitzernden Klunker einsammelt und wie ein Idiot von A nach B nach C und D geführt wird. Schon beim Eintreten spoilert er mit seinen Gedanken, wo man was suchen soll. Dann dreht man die Kamera und fragt sich: Hallo Regie, wo bist du? Und wenn du mir schon keine freie Erkundung zumutest, dann sorg doch wenigstens für den Nervenkitzel! Hier sollte es doch gruselig oder zumindest unheimlich sein. Aber man muss eher unfreiwillig lachen, als erste Schreie und Spukgeräusche wie in einem schlechten John-Sinclair-Hörspiel ertönen. Als es dann endlich etwas düsterer und bedrohlicher wird, ist der Pseudohorror viel zu schnell vorbei.
Habe ich Wimmelbild gesagt? Ja, das schmerzt, aber es trifft den Kern eines Designs, das aus einem Meisterdieb einen Schnüffelhund macht. Wer diese Suchspiele kennt, der weiß um die Faszination: Man will einfach alles haben, was glitzert. Und auf dieses Spielbedürfnis scheint es auch Eidos Montreal abgesehen zu haben, sonst hätte man nicht überall so viel Taubenschiss und Blaulicht, Silbergefunkel und Goldglanz verteilt. Ersterer zeigt an, dass man dort wie in Assassin's Creed hochklettern kann, Zweiteres weist auf Schalter oder aufhebelbare Fenster hin, Letztere bedeuten Beute.