Ein Herz für Vitrinen
Apropos: Die kostbarsten Teile werden automatisch in Garretts Quartier ausgestellt. Und das ist ein Symbol für die Sterilität der Spielwelt. Auch hier muss man den Assassinen und Ubisoft erwähnen, die das wesentlich stimmungsvoller hinbekommen haben. Denn dieser potenziell intime Rückzugsort bietet keinerlei Geheimnisse, keinerlei Persönliches, keinerlei Trainingsgerät oder Tagebücher, sondern einfach nur Vitrinen für die Schätze. Und natürlich passt da alles genau rein – selbst die Denkmaltafeln von Sehenswürdigkeiten kann Garret dort horten. Warum zur Hölle sollte er einer Stadt diese Identitäten stehlen? Und was sagt er noch im Einstieg wie ein Lehrer? "Es kommt nicht darauf an, wieviel man stiehlt, sondern was man stiehlt." Ach ja?
Keine Lust auf einen unrealistischen Knockout im Kampf? Wie so vieles könnt ihr das abschalten.
Hat man sich in früheren Teilen noch riesig über den Klunker gefreut, sackt man ihn hier fast nebenbei ein - es ist ja genug da, sogar auf den Straßen und Hinterhöfen. Auf denen sollen die Armen zwar verzweifelt hungern, aber sie sind scheinbar blind für das glitzernde Zeug. Eine bessere Regie würde zeigen, wie die Armen in diesem Szenario um jeden Penny betteln, feilschen und kämpfen. Die Spielwelt sieht zwar sehr gut aus, aber sie verliert auch sehr schnell ihre Glaubwürdigkeit. Obwohl ein politischer Konflikt zwischen dem industrieversessenen Baron Northcrest sowie dem rebellischen Widerstandskämpfer Orion aufgebaut wird, findet die schwache Story quasi nur in den Zwischensequenzen statt. Fraktionen oder gar Entscheidungen bzw. Folgen über Missionswahl bei den einen oder anderen? Gibt es im Jahr 2014 nicht! Man arbeitet das linear ab, was einem von einer wankelmütigen Regie vorgegeben wird.
Eine herzallerliebste Nebenfigur
Was sollen die Flammen? Es gibt einige Trial&Error-Fluchtszenen.
Schon der Einstieg offenbart erzählerische Defizite. Darunter eine weibliche Nebenfigur, die wie ein künstlicher Fremdkörper wirkt. Ich weiß gar nicht, wann mir das letzte Mal ein Charakter so egal war wie Erin, eine junge Schülerin von Garrett. Eidos Montreal will dem Trend der weiblichen Nebenrollen folgen, um die emotionale Seite des traditionell eher kühlen Meisterdiebs zu zeigen. Also versucht man eine Beziehung aufzubauen, in der man Konflikte und Gefühle darstellen kann. Das kann hervorragend funktionieren, wenn man an
The Last of Us,
The Walking Dead oder
BioShock Infinite denkt.
Im Vergleich zu diesen Spielen wirkt die schnell durchschaute Konstellation der beiden Figuren hier plump. Garrett vertritt die alte Schule der Diebe, in der sie wie Phantome agieren - sauber und lautlos. Erin vertritt die "modernere" und etwas mörderische Schule, in der Wachen auch einfach mal abgemurkst werden. Wie soll man diese schlecht modellierte Gothic-Zicke sympathisch finden, die nach all den Jahren des Wartens genau das symbolisiert, was man als Fan der ersten Stunde gerade nicht mit Thief verbindet? Mehr Tempo, mehr Action, mehr Rücksichtslosigkeit? Zwar bemüht sich das Drehbuch später um eine Erklärung, aber das Ganze ist irgendwann nur noch nervig.
Man vermisst nicht nur eine offenere, sondern auch eine bessere Geschichte und vor allem eine Lebendigkeit, die abseits der pathetischen Cutscenes für Authentizität sorgt: Zwar hört man ab und zu Gespräche, in denen man auch Hinweise auf Beute bekommt, aber das war es auch schon. Die Bewohner verhalten sich ansonsten stumm wie Fische und reagieren selbst dann nicht auf Garrett, wenn er direkt vor ihnen steht. Selbst in den Tavernen wirken sie wie seelenlose Statisten. Man muss hier einfach mal Dishonored im Vergleich anschauen, wo man viel öfter Feedback bekam und interagieren konnte. Und mal im Ernst, so zum Absacken: Ich spiele einen Meisterdieb mit einem Hightechbogen, der einen Schraubenschlüssel kaufen muss?