Test: Fahrenheit (Adventure)

von Jörg Luibl



Entwickler:
Publisher: Atari
Release:
29.01.2015
15.09.2005
15.09.2005
18.07.2016
15.09.2005
Erhältlich: Digital (Steam)
Spielinfo Bilder Videos
 Kopfnüsse & Rätsel

Es gibt wenig klassische Rätsel. Und echte Kopfnüsse darf man nicht erwarten. Zwar muss man mal Indizien verknüpfen, ein Buch über logisches Kombinieren aufspüren oder Archivschränke geschickt verschieben, aber das sind eher Seltenheiten. Das Einzige, was man von einer störrischen und teilweise unglücklich positionierten Kamera begleitet an Items aufspüren kann, sind Bonus-Medaillen, um Sounds, Artwork oder Filme freizuschalten. Und wenn es mal Verbandszeug oder Streichhölzer gibt, ist Fahrenheit genau so inkonsequent wie alte Point&Click-Spiele: Man kann Dinge erst dann aufnehmen, wenn sie vorher in einem entsprechenden Gespräch  erwähnt worden sind - unlogisch. Andererseits: Ich hab den ganzen Benutze-Klebeband-mit-Besenstiel-Krams nicht wirklich vermisst. Es raubt dem Abenteuer nichts von seiner Wucht. Und hatten wir in den letzten Jahren nicht genug Schalter-, Verschiebe- und Kombinationsspielchen?

Clara und Tyler wollen den seltsamen Mord aufklären. Ihr könnt beide spielen. (PC)
Clara und Tyler wollen den seltsamen Mord aufklären. Ihr könnt beide spielen. (PC)
Der Reiz des Weiterspielens besteht auch nicht in der Lösung eines künstlichen Problems. Er besteht darin, sich in einer kritischen Situation schnell und intuitiv entscheiden zu müssen. Fahrenheit begründet quasi eine Art Multiple-Choice-Adventure. Statt Point&Click gibt's Arcade&Emotion, Adrenalin&Tragik. Man spielt einen Film mit offenem Ende. Damit taucht man zum ersten Mal in der Spielegeschichte tiefer in die Spannung eines Geflechts von psychologischen Extremsituation ein, als nur auf die richtige Stelle zu ballern. Trotzdem rast der Puls in manchen Situationen ähnlich schnell wie vor dem finalen Headshot. Und dazu tragen nicht nur existenzielle Fragen, sondern auch handfeste Actioneinlagen bei.

Vom Opfer zum Helden

Die Zeiten, in denen man mit der Maus in aller Ruhe einen Schauplatz absucht, sind in Fahrenheit vorbei. Es geht nicht um gemütliches Stöbern und selten um logisches Kombinieren, dafür um rasante Entscheidungen - sowohl körperlich als auch geistig. Eure Reflexe und Instinkte werden gefordert. Ihr müsst euch zum einen in zig Reaktionstests beweisen, die in ihrer Intensität und Masse die Quick-Time-Reactions (QTR) aus Shenmue oder Resident Evil 4 in den Schatten stellen: Auf zwei Viererscheiben blinkt es abwechselnd oder gleichzeitig mal rechts, links, oben oder unten. Ihr müsst die vorgegebene Position umgehend mit den Pfeiltasten und der Maus bzw. den Analogsticks nachahmen - eure Aktionen münden dann sofort in gelungene Ausweichmanöver bei Verfolgungsjagden oder knackige Karatekicks bei den zahlreichen Kampfszenen.

Die erinnern zwar mit ihren Rückwärtssalti und Luftwirblern eher an Jackie Chan-Artistik als realistische Martial Arts, wurden aber hervorragend choreographiert und musikalisch untermalt. Das geht so weit, dass man Matrix-ähnliche Wandläufe und schwebende Luftkämpfe à la Hero absolviert. Aus dem fast schüchternen und depressiven Lukas wird im Laufe des Spiels ein Held im Hongkong-Stil. Das mag angesichts des Einstiegs befremdend klingen, aber die Story bietet für diese vielleicht etwas zu steile Karriere ein ausreichendes Fundament. Ihr reist in Rückblenden in Lucas' Kindheit und lüftet dort in mehreren Schleicheinsätzen die Geheimnisse seiner mysteriösen Kraft.

Zu viel des Guten?

Die Regie zeigt euch parallele Ereignisse: Die Polizisten, die euch suchen; den Jungen, der gleich im Eis einbricht. (Xbox)
Die Regie zeigt euch parallele Ereignisse: Die Polizisten, die euch suchen; den Jungen, der gleich im Eis einbricht. (Xbox)
So lange diese Action- und Reaktionstests in den dramatischen Takt der Story eingebunden sind, machen sie einen Heidenspaß und lassen den Puls rasen. Und wenn man sie nicht auf Anhieb meistert, sorgen gut platzierte automatische Speicherpunkte dafür, dass es keinen langen Wiederholungsfrust gibt - sehr gut. Aber es gibt einige Stellen, an denen dieses Spielelement aufgesetzt und überstrapaziert wirkt: Kickboxen und Basketball gegen Tyler sehen cool aus, aber sie wirken wie Fremdkörper. Auch das Schleichen auf dem Army-Gelände oder das Zielscheiben-Schießen in der Polizei-Akademie hätte man nur einmal, nicht zweimal verlangen sollen. Es wirkt fast so, als hätten sich die Entwickler dermaßen in diese Reaktionstests verliebt, dass sie den Blick für die Verhältnismäßigkeit verloren haben. Etwas weniger wäre hier so viel mehr gewesen, dass man locker Platin hätte erobern können.

Auch wenn man diese unglückliche Dosierung kritisieren kann: Quantic Dream geht mit diesem Stilmittel den richtigen Weg, denn der Spieler wird aktiv ins Geschehen eingebunden. Wenn man schnell wegrennen oder gegen starken Wind ankämpfen muss, hämmert man à la Track-Field im Stakkato auf die Pfeiltasten. Arcade und Adventure gehen hier eine unterhaltsame Symbiose ein. Dabei kommt es nicht immer auf das Tempo eurer Finger an, sondern auch auf den Rhythmus: Als Carla bei Stromausfall durch eine Irrenanstalt geistert, muss man rechtzeitig still stehen und ihre Atmung über den richtigen Takt der Pfeiltasten ruhig halten - man erlebt die Situation unheimlich intensiv.

Regie vom Feinsten

Dass Fahrenheit diese Intensität so lange halten kann, liegt auch an der Regie, die z.B. an die Kultserie 24 erinnert: Die Art und Weise, wie Bilder, Szenen und Figuren von der Kamera miteinander verknüpft werden, ist beeindruckend. Räume werden à la Eternal Darkness gekippt, Gesichter plötzlich porennah herangezoomt. Und es gibt nichts Aufregenderes als den Einsatz zwei oder gar drei parallel laufender Szenen: Der Bildschirm wird plötzlich geteilt oder gedrittelt und man übernimmt zuerst die Kontrolle über Lucas, dann über seinen Bruder, während man sieht, wie ein Killer gerade die Kirche betritt: Schafft man es, den Bruder anzurufen und dann den Telefonhörer abzunehmen, bevor er erwischt wird? Diese Echtzeit-Collagen sind neben der Offenheit der Kapitel die große Stärke des Spiels.

Und man kann die Figuren wechseln: Auf Knopfdruck entscheidet ihr zu Beginn der Kapitel, manchmal aber auch mitten im Spiel, ob ihr in die Haut von Lucas, die der Polizistin Carla oder die ihres Assistenten Tyler schlüpft. Das sorgt nicht nur für eine erzählerische Zuspitzung, denn während der eine seine Spuren verwischen will, will die andere sie aufdecken, sondern sorgt auch für eine hohe Identifikation: Man kann auch die Gedanken jeder Figur in kleinen inneren Monologen aussprechen lassen, so dass man weiß, was Tyler z.B. über seine Vorgesetzte denkt oder was im Kopf von Lucas' Bruder vorgeht: Was denkt der Priester über seinen mordenden Bruder? Das verflixt Gemeine ist, dass man manchmal entweder nur in die einen oder anderen Gedanken reinhören kann - wer das komplette Bild will, muss das Spiel noch mal angehen. Und das Schöne ist, dass man richtig Lust dazu hat, alle Facetten der Story zu entdecken.

Kommentare

Lord Hesketh-Fortescue schrieb am
crewmate hat geschrieben:hast du The Nomad Soul gespielt?
Oh ja. Im Gegensatz zu Fahrenheit und Heavy Rain (letzeres allerdings nur 20 Min. angespielt und für "meh" befunden), ein wirklich empfehlenswerter und erinnerungswürdiger Titel. Nicht nur, aber auch, aber nicht nur, aber auch, aber wirklich nicht nur, aber halt auch wegen dem Bowie-Faktor. Gutes Ding, das. Passte wie Arsch auf Eimer in die Zeit der End-Neunziger. (Viel Massive Attack und Tricky dabei gehört, kam gut.)
crewmate schrieb am
hast du The Nomad Soul gespielt?
WilderWein schrieb am
Ich find das ist nach wie vor das Beste Spiel von Quantic Dream :)
Jhena schrieb am
ich spiele grad cbs version von fahrenheit und seit heute is das spiel einfach so langsamer geworden.
auch am anfang wenn die logos auftauchen stockt es.
gestern lief noch alle perfekt.
weiß wer rat?^^
Edit: ok scheiße scheint was ernsteres zu sein-.-
bei anderen spielen dasselbe^^
link182 schrieb am
ich fand den ANfang auch deutlich besser,das Spuren verwischen das Fliehen am Ende war es nur noch öder Kampf
schrieb am