Nostalgische Momente
Es gibt Momente wie diesen vor der Gießerei. Als Garrett wie ein Raubvogel auf einem Balken kauert, während um ihn herum die Asche gen Boden rieselt. Dann dreht man die Kamera langsam, beobachtet die patrouillierenden Wachen, die viktorianisch anmutende Architektur, das diffus durch die Wolken brechende Licht und denkt sich: Diese namenlose Stadt sieht verdammt schick aus. Zwar kommt das Artdesign hinsichtlich der Kleidung und der Architektur nicht an die fantasievolle Vielfalt eines
Dishonored heran, aber Stadt und Interieur sind gelungen.
Und es gibt Momente, in denen das clevere Austricksen von Wachen richtig Laune macht – man kann sie gezielt ablenken, muss ihre Fackelkreise meiden und ihre Laufwege studieren. Man löscht das Licht mit Wasser, huscht in dunkle Ecken und fühlt sich fast wie Zuhause. Man findet wie damals mehrere Wege zum Ziel, über die Dächer, durch die Kanalisation, direkt an Wachen vorbei, die teilweise Hunde mit sich führen. Man kann zudem sehr gut mit Ablenkungen arbeiten, wie etwa einen gezielten Flaschenwurf. Dabei muss man gut auf seine Umgebung achten: Vögel kreischen z.B. auf, wenn man sich zu schnell bewegt - da hilft nur Langsamkeit oder einer der neuen Erstickungspfeile.
Klassische Stealth-Action
Auf den ersten Blick weckt dieses Thief wohlige Erinnerungen an beste Stealth-Action-Tage. Aber über die knapp zwölf bis fünfzehn Stunden Spielzeit folgt aufgrund vieler Designschnitzer die Ernüchterung.
Man muss auf Glasscherben beim Schleichen achten, sonst lockt man Wachen an. Man kann sich in Schränken verstecken, Gemälde nach Schaltern abstasten oder durch Schlüssellöcher spicken, um beim Öffnen der Tür nicht überrascht zu werden. Alles scheint in diesen Momenten wie gemacht für ein packendes Abenteuer, für eine lebendige Spielwelt, in der das Schleichen hinsichtlich Atmosphäre, Figurenverhalten und situativer Spannung auf ein fortschrittlicheres Niveau gebracht wird. Immerhin sind seit dem letzten Auftritt von Garrett satte zehn Jahre vergangen.
Aber es bleibt bei Momenten in einer nicht enden wollenden Serie von Designschnitzern und Drehbuchmurks über knapp zwölf bis fünfzehn Stunden. Unterhaltsam ist dieses Spiel für Kenner des Meisterdiebs ohnehin nur, wenn man vor dem Start selbst Hand anlegt und über mehr als ein dutzend Optionen zwei, drei vier weitere Schritte zurückgeht, bis man ungefähr auf dem Stand der Jahrtausendwende ist. Wenn man also all das abschaltet, was sich Eidos Montreal abseits der klassischen Notwendigkeiten an modernen Unsinnigkeiten ausgedacht hat.