Test: Dragon Age: Origins (Rollenspiel)

von Jörg Luibl



Entwickler:
Publisher: Electronic Arts
Release:
05.11.2009
10.11.2009
19.11.2009
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Spielinfo Bilder Videos
Eine spröde Schönheit?

Schön ist anders: Dragon Age bietet leider nur kleine Bereiche mit kargen Texturen, aber keine üppigen Landschaften für Entdecker.
Ja, auch Dragon Age beschleunigt langsam. Und wenn es Fahrt aufgenommen hat, dann brennt es auch in Ferelden: Nach drei Stunden fallen schwache Texturen vielleicht noch auf, nach sechs Stunden hat man sich daran gewöhnt, spätestens nach zwölf Stunden entdeckt man erfreut die markanten Unterschiede zu Tolkiens Fantasy, nach zwanzig Stunden will man alles aufsaugen, was BioWare hier auftischt und wenn man nach 45 Stunden in die Statistiken schaut, dann atmet man richtig auf: Hey, ich habe erst 36% der Quests gemeistert und 54% Prozent der Spielwelt gesehen? Wahnsinn! Das ist ja ein richtiger langer Schinken! Oh ja, dieses Spiel kann 80 bis 100 Stunden unterhalten, wenn man sich auch um alle Nebenaufgaben kümmert. Ich gebe allerdings zu, dass ich als Zwerg manchmal Stunden mit noch nebensächlicherer Grübelei verbracht habe - immerhin kann man mehrere Runen in Waffen schmieden; außerdem gilt es essenzielle Fragen zu lösen: Lieber zwei Dolche, weil die kritische Trefferchance steigt, oder ein Langschwert und ein Dolch, weil der Schaden höher ausfällt? Erstmal einen Kaffee trinken...

Auch die Kulisse kann mit der Zeit ein paar Punkte aufholen, wenn es in die Räume geht. Die Architektur der Häuser, Tempel und Burgen ist ebenso überzeugend wie das malerische Interieur: Die Grafiker haben sich viel Mühe gegeben, die Kammern und Hallen individuell auszustatten, man sieht Gemälde und Holzschnitzereien, wüste Bücherregale und freut sich über sanftes Licht, das Tunnel erhellt. Es gibt also auch stimmungsvolle Abschnitte; zudem sieht alles etwas idyllischer, fast schon brettspielschön aus, wenn man nicht aus der Schulter-, sondern der entfernten Vogel-Perspektive spielt. Obwohl sich Bilder und Figuren in Innenräumen auch etwas zu oft wiederholen, obwohl man nie in wirkliche belebte Städte kommt, ist es ist letztlich doch die Vielfalt, die die Illusion einer lebendigen Spielwelt aufrecht erhält: Man trifft auf Kinder, Erwachsene und alte Menschen, auf Männer und Frauen, auf Hübsche und Hässliche, die alle sehr natürlich wirken. Ja, es gibt auch Klone unter den Nebenfiguren, aber unterm Strich verhältnismäßig wenige.

Erst aus der Vogelperspektive gewinnen manche Landstriche wenigstens etwas an Reiz.
Man kommt im Bereich der Gesichter zwar nicht an das kommende Mass Effect 2 heran, was Details wie Augen- und Muskelbewegungen angeht. Aber es gibt eine ausdrucksstarke Mimik und Gestik, die Gefühle wie Freude, Ärger, Trauer und Hass sehr gut transportieren, zwei Klassen über dem Puppentheater, das man in Two Worlds oder Risen beobachten muss. Was noch wichtiger ist: BioWare erschafft auf lange Sicht eine eigene und komplexe Welt, denn die Kanadier erzählen nicht nur eine Story, in der sich die Helden bewegen, sondern sie verknüpfen viele Geschehnisse geschickt mit der Vergangenheit.

Mythologie braucht Genealogie, Götter, Herkunftslegenden und urtümliche Schlachten. Und Ferelden bekommt eine glaubwürdige Historie dank kleiner Anekdoten, Legenden und Ereignisse. Wer sich die Mühe macht und die vielen Briefe, Gedichte und Lexikoneinträge liest, der wird nicht nur mehr über die Hintergründe erfahren, sondern auch auf versteckte Quests treffen: Man findet einen Fetzen Papier bei einem Toten. Da ist mal von mysteriöser Asche oder dann von einem roten Kästchen die Rede, das sich im Magierturm verbergen und an eine Adresse in die Hauptstadt gebracht werden soll - wenn man dann ankommt, muss man sie einer "dunklen Gestalt" durch einen Schlitz überreichen. Wer das wohl war? Danach hat man jedenfalls ein ungutes Gefühl. Da finden sich schlüpfrige Liebesbriefe, für die sich ein Wirt interessiert, da schnappt man etwas über eine Schatzkiste auf, die sich nur öffnet, wenn man vorher jeweils das Wertloseste aus drei anderen Kisten stiehlt.

Wenn man näher hinsieht, wird man allerdings zu oft mit matschigen Texturen wie diesen konfrontiert.
Man wird in diesen Momenten neugierig gemacht, wenn man auf kreative Quests mit Überraschungen trifft - und davon gibt es einige. Zu den Highlights gehört die Aufgabe in der Parallelwelt des Nichts: Hier muss man sich geschickt in Maus, Golem, Geist oder Feuermagier verwandeln, um die zahlreichen Hindernisse zu überwinden und die Feinde zu besiegen. Sehr schön ist auch, dass sich das Talent "Manipulation" hier auswirkt: Man kann viele Kämpfe und Konflikte umgehen, indem man Leute entweder einschüchtert oder überzeugt; Kommunikation ist Trumpf und wird belohnt. Allerdings gibt es unter diesen Quests nicht nur klassische Hol- und Bringdienste, in denen man Kräuter, Felle, Fallen oder Tränke sammeln soll, sondern auch selten blöde und schlecht inszenierte: Man soll Leichen entsorgen und kann dies am hellichten Tag in einem Brunnen neben einer Kirche machen, obwohl da Priester stehen - auch die eigenen Gefährten, darunter rechtschaffene, reagieren nicht. Was soll das? Man soll in der Zwergenstadt rosa Ferkel einsammeln und zurück bringen? Albern...manche Aufgaben erinnern in ihrer Anspruchslosigkeit leider an die Kuriermentalität gängiger Online-Rollenspiele.

Mehr Martin als Tolkien

Edle Karten mit (ausblendbaren) Questpunkten sorgen für Übersicht.
Dafür kann das interaktive Archiv überzeugen.  Die sehr gute Dokumentation der Texte, Ereignisse und Kreaturen wäre sogar grandios, wenn man sie auch noch wie etwa im "Wälzer des Wissens" von Warhammer Online im Stile eines mittelalterlichen Bestiariums bebildert hätte - leider gibt es weder Skizzen von Monstern noch Gegenständen. Schade, schade, schade, denn die offizielle Webseite zeigt so viele hervorragende Modelle und Artworks, die diesen Kodex enorm bereichert hätten.

Erfreulich ist wiederum, dass man sich im weiteren Spielverlauf immer mehr von Tolkien lösen kann. Es ist letztlich viel weniger der Gelehrte aus Oxford, sondern der Schriftsteller aus Santa Fe, dessen Einflüsse innerhalb der Story deutlich werden: Die politischen Konflikte und Intrigen erinnern genau so angenehm an G.R.R. Martins Romanreihe "Das Lied von Feuer und Eis" wie das plötzliche Sterben von Protagonisten - das wird so drastisch inszeniert, dass man regelrecht schockiert ist. Man muss natürlich auf dem Teppich bleiben: Zwar kann die Erzählstruktur in ihrer Komplexität nicht mit den Rosenkriegen oder Ähnlichem mithalten, aber die Verknüpfung von alltäglichen Missionen und hoher Politik ist sehr gelungen. Wenn man mit seinen Gefährten an bestimmte Schlüsselpunkte gelangt, zeigen kleine Filme, was gerade auf der königlichen Bühne geschieht, dass einem Meuchelmörder auf den Hals gehetzt werden oder welche Gebiete die dunkle Brut erobert hat - man hat das angenehme Gefühl, dass sich alles bewegt und zuspitzt, dass man beobachtet und verfolgt wird. Erinnert sich jemand an die Überfälle in Baldur's Gate? Genau das gibt es hier auch. Dragon Age ist also nicht nur eine spröde und spät zündende, sondern auch eine üppige Schönheit mit so vielen inneren Werten, dass eine konturlose Wand hier oder eine Abkupferung da irgendwann als ärgerliche Kleinigkeiten verpuffen. Denn das Spiel selbst ist in einigen anderen Bereichen grandios.                        

Kommentare

WOOM schrieb am
Habe es gerade als PS+ bekommen und ausprobiert. Hat mich gleich gefesselt! Obwohl das Kampfsystem mich nicht anspricht.
FuerstderSchatten schrieb am
RIP Gracjanski, du warst mir wirklich der liebste der Frauenhasser hier, kein Thema um deine ultrakonservativen an den Salafisten (die du vermutlich seltsamerweise verabscheust) grenzenden Meinung herauszuposaunen, hast du ausgelassen. Du wirst mir fehlen, irgendwie.
Die ersten Beiträge des langjährigen und auch verdienten 4Players Veteran, die noch wie erste tapsige Gehversuche anmuten zu lesen, ist lohnenswert. Der spätere selbsternannte RPG Oldschool Guru, der BG 2 verehrte, nennt Vampire the Masquerade langweilig und hätte den Preis fürs beste RPG 2004 lieber Everquest 2 gegeben. Far Cry 1statt Half Life 2 sollte seiner Meinung nach Spiel des Jahres 2004 sein. Wie man daran sehen kann: Ja seine Expertise wird hier fehlen. Von seinem späteren Hass auf Schwule und Frauen ist in diesen noch unschuldigeren Tagen noch nichts zu lesen. Zum Glück! Im Geheimen (also hier in einer seiner Posts) gab er mir zu verstehen, dass ich noch zu jung um zu begreifen, was Frauen den Männern alles antuen und das sie Luzifer persönlich seien. Oder so ähnlich jedenfalls. Vermutlich eine postraumatische Störung.
Sorry Leute, der Nachruf musste sein. Katta fehlt übrigens auch, kann keiner eine Petition einreichen oder so?
Achja fast vergessen, das hier ist nur für dich: "Nur die besten sterben jung, du warst der beste." Sayonara, alter Freund.
-=Ramirez=- schrieb am
Gib es noch bis zum 14. Oktober 2014 KOSTENLOS auf Origin
gracjanski schrieb am
Das Game ist wirklich top. Und mit den Mods wird es fast perfekt. Fehlt nur eine Log um Kämpfe nachzuvollziehen. Habe vorgestern durch, dann noch alle Origins gemacht und das DLC Hexenjagd. Wenn ich mehr Zeit hätte, würde ich echt das Game zum zweiten mal spielen, denn Ideen hätte ich viele, aber nun reicht es. Ich glaube, ich habe 160-190 Stunden mit dem Game verbracht, nur Baldurs Gate 2, Morrowind und Everquest 2 haben mich länger gefesselt.
Awakening habe ich aber nicht angefasst, soll nicht sooo super genial sein. Habe eh genug das Gameplay genossen, nun sollte ich mal was anderes machen.
Dzharek schrieb am
Ich muss mich langsam aufraffen mit meinem Zwergenkrieger das Spiel zum 2. mal durchzuspielen, dann kann ich endlich Awakening anfangen. Teil 2 werde ich wohl etwas auf die lange Bank schieben, die demo war zwar nett, aber nichts was ich sofort haben müsste.
schrieb am