Propaganda? Geschichtsrevisionismus?
Eine Szene mit sehr unangenehmen Beigeschmack gibt es aber tatsächlich: Im achten Level der Kampagne, “Highway des Todes“, sagt Farah beim Missionbriefing folgende Sätze: „Tariq Almawt, die Straße des Todes. Russen haben sie bei der Invasion zerbombt und die Fliehenden getötet“. Diese „Highway of Death“ genannte Straße gibt es fern vom fiktiven Urzikstan, in der echten Welt tätsachlich: Die sechsspurige Autobahn von Irak nach Kuwait war in der Nacht vom 26. auf den 27. Februar 1991 Schauplatz eines US-Bombardements kurz vor dem Ende des Zweiten Golfkriegs. Amerikanische Flugzeuge griffen einen Konvoi von auf dem Rückzug befindlichen Panzern und Zivilfahrzeugen an. Wenngleich die Opferzahlen je nach Quelle variieren (konservative Schätzungen gehen von 600 bis 1.000 Toten aus) und die Einstufung als Kriegsverbrechen umstritten ist, wurde das Bombardement vom US-Militär durchgeführt - und nicht, wie das Missionbriefing in Modern Warfare sagt, von Russen. Trotzdem darf man nicht vergessen, dass es hier um einen fiktiven Shooter geht, der letztlich schon immer westliche Propaganda betrieb, und nicht um eine historische Reportage.
Action wie immer
Eine der besten Szenen im Spiel: Terroristen sind in die Botschaft eingedrungen - eine Panzerglasscheibe entscheidet zwischen Leben und Tod.
Während der selbst für Call-of-Duty-Verhältnisse kurzen Kampagne (fünf bis sechs Stunden) erlebt man Action en masse, allerdings hebt sich der diesjährige Einsatz spürbar von mancher Baller-Achterbahn der Vorjahre ab: Es gibt mehr Tode aus dem Hinterhalt, mehr Kämpfe auf engstem Raum, mehr Einsätze bei Nacht. Ein paar Mal, z.B. als man minutenlang snipern lernt oder beim Warten auf einen feindlichen Ansturm, hat man sogar Zeit zum Durchatmen. Bricht dann aber die Hölle los, geht es audiovisuell richtig rund: Zivilisten erschweren das Anvisieren von Feinden, Dreck und Mauerstücke wirbeln durch die Luft, Scharfschützen aus dem Hintergrund erlegen euch im Nu, grelles Mündungsfeuer und brachiale Schussgeräusche gibt es sowieso. In den besten Momenten des neuen Modern Warfare wähnen sich Serienfans tatsächlich im Himmel - Infinity Ward hat sich ein paar verdammt intensive, stark designte Szenarien ausgedacht, die sich auch nach so vielen Episoden (und noch mehr Missionen) frisch anfühlen. Die Erstürmung einer Wohnung, Kämpfe im Krankenhaus, der oben erwähnte Angriff auf die Botschaft - bei diesen Stellen hatten wir die Hoffnung, dass dem Studio ein erneuter Meilenstein gelingt wie anno 2007 mit dem ersten
Modern Warfare.
Chaos, Zivilisten, Stress und dann auch noch angeschossen - in Szenen wieder dieser macht es einem das Spiel bewusst schwer, den Überblick zu behalten.
Leider gelingt es Infinity Ward nicht, dieses hohe Niveau zu halten, trotz der kurzen Spielzeit: Der dritte Ausflug bei Nacht wirkt nicht mehr so stark nach wie der erste, die Flucht aus einem Gefängnis hat man bei
Black Ops (Mission „Workuta“) schon ähnlich gesehen und einen Schwarz-Weiß-Angriff aus der Luft hatte Infinity Ward einst bereits selbst inszeniert („Der Tod kommt von oben“,
Call of Duty 4: Modern Warfare). Die Verfolgung eines Verbrechers, der durch Gassen und Kellergewölbe wieder und wieder fast entkommt, ist im Videospieljahr 2019 sicher kein frisches Element mehr - Yu Suzuki hat angerufen und möchte seine Idee von 1999 zurück! Über geskriptete Ereignisse stolpert man zuhauf, doch erfreulicherweise wurden sowohl eindimensionale Railshooter-Sequenzen als auch typische Entkomme-während-alles-explodiert-Szenen aus dem CoD-Baukasten auf ein Minimum reduziert. Das Verhalten der Feinde ist zweispältig: Einerseits gibt es ihn immer noch, den strunzdoofen Typ Gegner, der seine Rübe so oft hinter derselben Deckung hervorstreckt, bis ihn auch der letzte Rekrut erwischt. An anderer Stelle machen euch feindliche Truppen richtig Druck - geben Sperrfeuer, werfen Molotov-Cocktails, suchen Räume nach euch ab. Selbst auf „Soldat“, dem zweiten Schwierigkeitsgrad, sieht man den (kurzen) Ladebildschirm häufiger als in anderen CoD-Episoden. Die Story wird mit technisch beeindruckenden Rendersequenzen transportiert, die Haupthandlung ist halbwegs spannend und stets nachvollziehbar - wird aber natürlich immer noch von reichlich inhaltslosem Bravo-Charlie-Copy-that-Gelaber flankiert.