Lückentexte und kein Glitzer
Ansonsten schlägt man sich mit qualitativ schwankenden Quest-Beschreibungen herum - teilweise echt Classic mit Rechtschreibfehlern. Weder die zu killenden Mobs noch die relevanten Gebiete werden auf der Karte oder auf der Minikarte hervorgehoben.
In einem der Quest-Texte hieß es bloß, man soll auf dem Weg nach XY nach der nächsten Brücke links abbiegen. Auch hier wird deutlich, dass es vor der Schnell-Schnell-Questerei à la BfA wichtiger war, die Spielwelt eingehender und ausführlicher zu erkunden. Selbst in Dörfern musste man die einzelnen Häuser absuchen, um nicht irgendwelche Lehrer oder gar Quests zu verpassen. Die aktive Auseinandersetzung mit anderen Spielern und der Spielwelt ist in Classic viel wichtiger als heute - und das gefällt mir. Wichtige Elemente in der Spielwelt oder zu suchende Objekte in Quests glitzern übrigens nicht. Sie liegen einfach nur da und müssen wie in einem Suchbild gefunden werden.
Für das Reisen in der Welt muss man viel Zeit einplanen, da es nur wenige Flugpunkte gibt, die Klassen wenig Lauftempo-Effekte haben und das erste Reittier auf Stufe 40 so viel Gold kostet, dass man sich mehrfach überlegen muss, ob sich neue Ränge von Zaubern oder Fertigkeiten überhaupt lohnen. Ja, richtig, es gibt unterschiedliche Ränge von Fähigkeiten (Mana-Effizienz).
Insgesamt sollte man sich keine Hoffnung machen, schnell durch Classic durchzuhuschen. Eine Stunde pro Level, später mehr, sollte man einplanen. Selbst der erste Speed-Runner auf Stufe 60 hat mit Layering-Tricks über 70 Stunden
gebraucht.
Wichtige Questgegenstände glitzern in Classic nicht. Im Vergleich zum Original kann man übrigens Schlachtzug-Markierungen wie Quadrat oder Halbmond nutzen.
Klassisch Kämpfen
Die klar dominierende Aufgabe in World of WarCraft sind die Kämpfe, sofern man nicht mit dem Auktionshaus die Weltherrschaft an sich reißen möchte.
Gekämpft wird überaus gemächlich und trotzdem kann es manchmal richtig schwer und schweißtreibend sein. Zunächst dauert es relativ lange, bis man einen Gegner erledigt hat. In der Gruppe ist das viel angenehmer und in Battle for Azeroth hätte man in der Zwischenzeit fünf Gegner zusammengezogen und mit Flächenschaden niedergebrannt. Wenn man in WoW Classic mehr als einen Gegner im Alleingang attackiert, dann hat man hoffentlich eine Gegnerkontrollfähigkeit oder eine Angstblase à la Paladin bereit. Okay, es ist vielleicht etwas übertrieben, aber es kann durchaus kniffelig werden, wenn man es in der Level-Up-Phase mit mehreren Gegnern aufnehmen möchte. Selbst ein simpler Gegnerrespawn zu einem ungünstigen Zeitpunkt kann einen Besuch beim Geistheiler bedeuten.
In den Kämpfen ist Geduld angesagt, denn die Feinde halten locker mehreren Aktionen stand und da die Anzahl der verfügbaren Fertigkeiten bis auf Stufe 60 langsam ansteigt, kann es sein, dass man anfangs nur sehr wenige Tasten drücken kann. Manchmal läuft nur der automatische Angriff, dann kommt als Jäger der Schlangenbiss oder vielleicht sogar ein Arkaner Schuss und schon "ist alles auf Cooldown". Später hat man mehr zu drücken. Bis dahin muss man sich durchbeißen, vor allem Klassen, die nicht viel Schaden verursachen, erwartet im Alleingang ein anstrengendes Los. Solo wird es ab Stufe 10 zäh und am besten ist man eh in einer Gruppe mit Freunden unterwegs. Allzu reaktive Kämpfe oder gar dynamische Aktionen, die durch einen Zufallseffekt oder ein Talent realisiert werden, gibt es kaum. Bewegt wurde sich in Classic-Kämpfen sowieso wenig. Selbst der Jäger muss für den automatischen Schuss stehenbleiben.
Eine Begleitquest aus der Hölle.
Rauer Charme
Alles ist sehr ursprünglich, um nicht zu sagen, relativ rau, ungeschliffen und umständlich, besonders wenn man heutige Komfortfunktionen kennt, die zugleich viel vom Reiz des Spiels nehmen.
Trotzdem fühlt sich der Charakter-Fortschritt in World of WarCraft Classic irgendwie "besser" und belohnender an. Sei es durch Level-Ups mit Talentpunkten ab Stufe 10, neue Fähigkeiten beim Klassenlehrer oder natürlich Ausrüstung via Quests oder Kills. Während man im aktuellen World of WarCraft: Battle for Azeroth mit epischen Gegenständen nahezu überschüttet wird, ohne viel dafür getan zu haben, fühlen sich die Fortschritte bei Classic wertvoller an, weil sie länger sowie härter erarbeitet sind und einem nicht bloß hinterhergeworfen werden. Das Verhältnis aus "investierter Spielzeit" und "erhaltener Belohnung" ist bei Classic völlig anders: höherer Zeitaufwand, weniger Belohnungen. Auf die Spitze getrieben wird dieser Aspekt mit den Zugangsquests, die bestimmte Inhalte hinter (langen) Questreihen verstecken - undenkbar im aktuellen World of WarCraft. Einen Schlachtzug- oder Dungeonbrowser gibt es übrigens nicht. Wer in eine Instanz gehen will, braucht eine feste Gruppe oder sucht im LFG- oder Allgemein-Channel, aber nicht im Handels-Channel.
Klassen mit Persönlichkeit
Außerdem hatten die Klassen in WoW Classic viel mehr Persönlichkeit und mehr Alleinstellungsmerkmale als heutzutage. Damit ist nicht nur der Wegfall der Talentbäume gemeint, die einen stetigen Fortschritt bis zum Level-Cap versprechen, sondern vielmehr die Eigenarten der Klassen und deren Individualität. Als Jäger wurde ich z.B. von der Wildtierausbildung mit Ausbildungspunkten beim Begleiter überrascht oder von dem längst vergessenen Mungobiss, ein Vergeltungsangriff im Nahkampf.
Ab Stufe 10 darf man nach jedem Level-Up einen Talentpunkt verteilen.
Abgesehen von Deadzone, Nahkampf-Übergang, Munitionstasche, Tierfütterei, Mana als Ressource, Manasauger wie Vipernbiss etc. Den Jäger hat es in der WoW-Erweiterungsgeschichte schwer getroffen. Andere Klassen hatten einen ähnlichen Aderlass zu beklagen.
Es ist so viel Klassen-Persönlichkeit, so viel Kleinkram und so viel Vielfalt im Laufe der Jahre verlorengegangen. Es kam erst mit World of WarCraft: Legion und den Ordenshallen wieder mehr Klassenbezug ins Spiel, bevor mit World of WarCraft: Battle for Azeroth alles mit den völlig hirnrissig gestalteten Azerith-Gegenständen, der Entfernung der Sets und der dämlichen Halskette verwässert wurde. Irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass mit der Ausbügelung der kleinen Ecken und Kanten der Klassen viel von ihren Charme entfernt wurde.
Nichtsdestotrotz darf man trotz "Rosa Brille" nicht vergessen, dass viele Klassen-Spezialisierungen im Endgame völlig unbrauchbar waren, wenn man es auf die Effektivität und die Führungsposition im "Damage Meter" (inoffizielles Interface Add-on) angelegt hatte.