Welt und Figurenverhalten
Man reitet zu Beginn zusammen mit Dina auf Patrouille durch das verschneite Wyoming. Naughty Dog demonstriert schon in diesen frühen Szenen seine ganze technische Klasse, wenn die unheimlich gut animierten Pferde (auch Rockstar hat hier das Nachsehen) mal wieder einen tief hängenden Zweig streifen und der Schnee zu Boden fällt. Man kann sie galoppieren, sie zügeln, absteigen und diesen Wald mit seinen scheinbar verlassenen Häusern erkunden. Kürzlich hat man von Fotorealismus gesprochen, den Epic z.B. mit der Unreal Engine 5 anstrebt: Klar, da ist visuell nicht alles ausgeschöpft. Aber mir würde dieses Niveau auch noch für ein paar Jahre reichen, weil es so selten zu sehen ist...
Dieses erfahrene Team kann sich natürlich auf seine versierten Artdesigner verlassen, die wiederum an gewachsene technische Qualität und Fundamente ihrer eigenen Engine aus früheren Spielen anknüpfen. Schon
Uncharted 4 hat gezeigt, wie elegant man Dialoge in die Erkundung einbauen kann. Und auch hier laufen die Gespräche mit den Partnern angenehm natürlich ab, während man nach Wegen zum Ziel oder Lösungen sucht - mal automatisch, mal per Knopfdruck ausgelöst. Aus diesem Smalltalk ergeben sich Einblicke in die Persönlichkeit sowie spielerische Hilfen. Auch wenn es dabei zu skurrilen Trennungen kommen kann (warum, rennt der jetzt da hinten rum?): Es ist verblüffend, wie eigenständig sie reagieren oder selbst Vorschläge machen - hier entsteht trotz der erkennbaren Skripte zumindest kurzfristig die Illusion eines "lebendigen" Begleiters. Hoffentlich kann die Spielewelt das noch weiter entwickeln.
Immer wieder muss man sich unauffällig heranschleichen.
Zwar gibt es keine offene Welt, man stößt also irgendwann auf künstliche Grenzen, doch die Areale sind weitläufiger als im Vorgänger. 25 Jahre nach der Pandemie haben sich selbst Großstädte in einen Dschungel verwandelt - und Naughty Dog öffnet seine Gebiete, vor allem in Seattle, sowohl in der Ausdehnung als auch mit Abzweigungen, so dass der Blick in die von Vegetation überwucherte Landschaft mit all ihren begehbaren Gebäuden und Plateaus eine offene Welt suggeriert. Selbst weit entfernt erkennt man noch scharfe Konturen. Man kann sich durchaus mal verirren - wer zu lange sucht, bekommt jedoch einen optionalen Hinweis. Euch stört irgendeine Anzeige? Ihr könnt nahezu alles deaktivieren.
Vertikalität und Akribie
Es sind auch aus anderen Titeln bekannte Kleinigkeiten, die das Spielgefühl verstärken: Dass man beim Betreten dunkler Räume z.B. erst langsam besser sehen kann. Oder dass Charaktere ihre Höhenangst an Abgründen zeigen, indem auch die Sicht verschwimmt. Und es nötigt mir allergrößten Respekt ab, in welcher Fleißarbeit man das Interieur gestaltet hat: Egal ob Tattoo-Studio oder Spielzeugladen, Kaufhaus oder Werkstatt - alles ist vollgestopft mit einzigartigen Gegenständen, mit einem teilweise persönlichen Flair, das durch Notizen und Kleidung noch verstärkt wird. Manchmal kann man Dinge finden, die man vergrößert drehen und näher betrachten kann. Dabei lässt sich erahnen, dass in diesem Zimmer oder jenem Haus tatsächlich Leute gewohnt haben - manchmal sieht man noch, wie sie gestorben sind. Die Akribie geht so weit, dass man nach 20 Stunden irgendwo in einem Schrank noch ein designtes Unikat findet. Aber nur, wenn man die Kamera dort hinten nochmal dreht! Daher verwunderten mich die Klonfiguren im Einstieg.
Nach Stress-Situationen gibt es genug Ruhephasen.
Dazu sind die Gebiete vertikaler, von der gefluteten Tiefgarage über den fast dschungelartigen Park bis hin zum mehrstöckigen Hochhaus. Theater? Aquarium? Wolkenkratzer? Alles dabei! Das Spektrum der Schauplätze ist enorm. Und wer Seattle an der Westküste der USA kennt, wird einige Déjà-vus haben. Mal abgesehen davon, dass das Leveldesign hinsichtlich Architektur, Licht und Texturen allerhöchstes Niveau erreicht, sind die Schauplätze für das akrobatische Stöbern noch besser geeignet. Ellie kann ja klettern, schlittern, muss mit Anlauf über Abgründe springen, sie kann schwimmen, tief tauchen und an bestimmten Stellen sogar Seile benutzen, die sie einfach in die Tiefe oder über eine Planke werfen muss, damit sie Halt geben. Hier lässt das Abenteuer-Flair von
Uncharted 4 grüßen. Auch das Einschlagen von Scheiben sorgt für neue Routen. Allerdings ist es nicht möglich, selbst angeschlagen wirkende Holztüren einzutreten, sie mit der Axt zu zerhacken oder mit dem Flammenwerfer zu verbrennen. Ihr wisst schon, dass ich da manchmal die Lupe ansetze...